Allesfresser | Christine Lehmann

Omnivorie

Wenn praktizierender Veganismus die Grenze zum militanten Sein überschreitet und eine mobile Küche in Raum Stuttgart
ihre edlen gesundheitsfördernden Absichten vergisst und stattdessen beginnt im Internet verbale Jagden zu machen auf Fleischfresser oder genauer definiert Omnivore, das sind Allesfresser, fragt man sich, was private Ernährung im öffentlichen Raum zu suchen hat, außer die geeigneten Lebensmittel zu besorgen.

 

Domestiziertes Scannen

Eine Wiese der Fleischlüste erstreckt sich als Nahrungskatalog.

Übersetzung

Stets mit den sehr treffenden Situationsaufnahmen für den jeweiligen Kriminalroman verfasst von Else Laudan.

Christine Lehmann

Geboren 1958 in Genf ist sie Schriftstellerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Seit 1994 veröffentlicht sie Krimis, Kurzkrimis, Unterhaltungsromane und Kriminal-Hörspiele. Christine Lehmann betreibt Blogs.
Sie ist die Tochter des Journalisten und Sachbuchautors Johannes Lehmann. Das Abitur absolvierte sie in Stuttgart.

Ihre Promotion bestritt sie über die Frage, warum die Heldin des bürgerlichen Romans am Schluss meist stirbt.

Während ihres Literaturstudiums war sie Redakteurin einer Literaturzeitschrift. Seit 1990 ist sie Redakteurin für Nachrichten und Politik beim SWR (Südwestrundfunk), dem ehemaligen Süddeutschen Rundfunk.
Sie ist verheiratet mit dem Mathematiklehrer und Autor Bertram Maurer und lebt in Stuttgart und Wangen im Allgäu.
Christine Lehmann war Mitglied im Verein deutschsprachiger Kriminalschriftsteller „Syndikat“ bis zu ihrem Austritt 2014, bei Attac, Greenpeace und Plan International, außerdem Fellow im „Berliner Institut für kritische Theorie“ (InkriT), Mitglied bei „Mathematik zum Anfassen“ e.V., der „Wangemer Narrenzunft Kuhschelle weiß-rot“ und im „Stuttgart-Cannstatter Ruderclub“. Sie wurde 2009 in den Vorstand des Landesbezirks Baden-Württemberg des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) in ver.di als Beisitzerin und 2013 zur Vorsitzenden gewählt.

 

Radfahren in Stuttgart

Sie begann 2013 das Blog „Radfahren in Stuttgart“, das sich zu
einer online-Zeitung für Stuttgarts Radfahrer entwickelt hat. Von „Bündnis 90/Die Grünen“ wurde sie in den Bezirksbeirat Stuttgart Süd bestellt und seit 2015 ist sie Stadträtin im Gemeinderat von Stuttgart. Ihre Kriminalromane hatten zunächst nur bescheidenen Erfolg.

Der erste Roman „Kynopolis“ (1994) ist ein Hundekrimi.

Die folgenden Kriminalromane „Der Masochist“ (1997), „Training mit dem Tod“ (1998) und „Der Pferdekuss“ (1999) bilden eine Trilogie um die bisexuelle Detektivin Lisa Nerz.

Bisexualität ist doch kein Thema in Deutschland!!!

Diese Romane spielen in Stuttgart und Umgebung. Der vierte Krimi mit Lisa Nerz erschien 2005 („Harte Schule“) und der fünfte Krimi mit dem Titel „Höhlenangst“ ebenfalls 2005 und Tatort die Schwäbische Alb. Lisa Nerz und Oberstaatsanwalt Dr. Richard Weber ermitteln im Krimi „Allmachtsdackel“ (2007) in Webers Heimatstadt Balingen. Im 2008 erschienenen „Nachtkrater“ spielt die Hälfte der Handlung am Bodensee und die andere Hälfte auf einer fiktiven Mondstation am Shackleton-
Krater (Südpol).

 

Mondstation

Bei der Recherche und Konstruktion der Mondstation bekam Lehmann Hilfe vom „Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart“.
Der anscheinend erfolgreichste Roman war „Der Bernsteinfischer“ (2000) über einen Fotografen, der sich vor seiner Vergangenheit auf der Insel Hiddensee flieht. Der Liebesroman wurde für die ARD mit dem Schauspieler Heiner Lauterbach in der Hauptrolle verfilmt. Der Roman „Der Racheengel“ erschien 2003, „Die Liebesdiebin“ erschien 2005 und wurde ins Russische übersetzt. Der Liebesroman „Auf den Spuren der Liebe“, der einen Blick auf die Mitglieder einer fiktiven Boygroup und ihrer Groupies wirft in Hamburg, Berlin und auf der Insel Rügen, erschien 2007. Christine Lehmann setzt sich in ihren Kriminalromanen mit gängigen Rollen- und Verhaltensmustern auseinander und probiert unerwartete Verhaltensweisen in scheinbar banalen Situationen.

 

Kriminal-Hörspiele

Ab 2007 bereicherten Kriminal-Hörspiele Lehmanns Produktion. Drei Hörspiele für die 2008 neu aufgelegte ARD Hörspiel-Reihe „Radio-Tatort“ im Auftrag des Südwestrundfunks sind entstanden: „Himmelreich und Höllental“ (Sendedatum März 2008), „Mordlauf“ (Sendedatum Juli 2008) und „Blutoper“ (Sendedatum Mai 2011).
Unter dem Pseudonym „Madeleine Harstall“ schreibt Christine Lehmann historische Liebesromane. „Das Geheimnis der Gräfinnen“ erschien 2004. In diesem Roman wird das Leben, die Vertreibung und die Flucht aus Ostpreußen auf historischer Ebene behandelt, während die Gegenwartsebene auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst
an der Ostsee platziert wird.

 

Beg your pardon, is there anybody else out there in the Cars section???

„Die Brückenbauerin“ folgte 2006, in dem das Alltagsleben am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieben wird und die Geschichte der zu Kriegsende gesprengten Karnin-Brücke von Anklam nach Usedom erzählt. In dem Roman geht es um das rätselhafte Tunguska-Ereignis und die Erfindungen des Nikola Tesla.

 

Tatort und Reiseziel

Stuttgart;
Schwäbische Alb;
Neckar;
Reutlingen;
Ludwigsburg

 

Vegan schreiben, medienfern bleiben

Die Privatermittlerin Lisa Nerz liest und sucht die anonyme Bloggerin, die vegane Rezepte veröffentlicht in einem Cocktail aus Bibelversen im Mantel fundamentalistischer Ansichten. Als ein Fernsehkoch seit seiner Joggingrunde vermisst wird, dessen Sendungen sich besonders durch die Liebe zum Mix von Fleischerzeugnissen auffielen, fällt Lisas Verdacht auf die Bloggerin, weil diese Karnivore als Allesfresser kritisierte, als Killer unschuldiger Tiere. Dabei erfährt sie, dass der verschwundene Koch einige Monate in der Küche der Psychiatrie gearbeitet hat.

 

Der Eisenbahntunnel

Seine für den Verkauf zerteilte und verpackte körperlichen Bestandteile tauchen in einem stillgelegten Eisenbahntunnel auf. Nebenbei wird berichtet, was in diesem Buch oft der Fall ist, dass Stuttgart kein rechtsmedizinisches Institut besitzt. Die den Umständen entsprechend bekleidete Tatortgruppe findet einen Toten, dessen Organe und Knochen in Folientüten eingepackt mit Haltbarkeitsdatum versehen sind. Es fehlen Körperteile und der Verdacht schwebt über den Köpfen militanter Veganer, die durch ihre Haltung sich zur Zielscheibe machen, Tierschlachtungen rächen und damit ein Exempel statuieren wollen.

 

Der Metzgergeselle

Die Art des Verbrechens weist auf einen ausgebildeten Metzgergesellen, der Fleisch fachgerecht für den Lebensmittelverzehr und Verkauf im Einzelhandel vorbereiten kann. Die Identifizierung des grässlich verunstalteten Opfers bestätigt die Vermutung: es handelt sich um den vermissten Koch, und er ist ca. eine Woche tot. Die Ermittlung vor Ort rückt die Bloggerin in den Vordergrund, die ihre Rolle dementiert, nur ihren Aufenthalt im Lebenshof bejaht. Im Tatort finden sich in einem Abwasserkanal die Sachen des Opfers ohne Etiketten.
Der Kern des Romans sind Gedanken um militanten Veganismus, der aus dem Web heraus seinen Einfluss ausübt. Wie ein Schwarzbrett meistens veganer Rezepte bis auf die Küche von Lisas Freund, der Fleischkreationen gerne ausprobiert, liest sich dieser Krimi.
Lisa Nerz ermittelt nach der Online-Vegan-Soufragette. Oft gerät sie in verbale Duelle mit ihrem Freund
und Staatsanwalt Richard, die Essgewohnheiten zum Thema haben. Lisa beginnt sich vegan zu ernähren, während ihr Freund ein
sogenannter Allesfresser ist, der gerne kocht.

 

Die anonyme Bloggerin

Die Suche nach der anonymen Bloggerin mit den kontroversen Ansichten gestaltet sich als holprig.
Vegane Ernährung verträgt sich nicht immer mit politischem Statement der Barrikadenform und weist Lücken im Bereich Säuglingsernährung auf. Babys veganer Mütter können an einer Vitamin-B12-Anämie leiden. Lisa diskutiert bei einer veganen Facebook-Gruppe mit und versucht das Geheimnis um die Decknamen zu lüften. Tierschutzorganisationen kündigen Veranstaltungen über das Internet an, für Ermittler, die sich in Netzwerke unter Decknamen einschleusen eine Möglichkeit die Leute auch persönlich zu treffen, weil der Eindruck im realen Leben mehr
zählt als der virtuelle.

 

Postwurfsendungen

Über die Netzwerke verbreiten sich Gerüchte, die die Ernährung von Schwangeren betreffen, die Bewohner eines Ortes werden durch Postwurfsendungen adressiert und belästigt. Das Zenith erreicht das kriminelle Einfallsreichtum durch Berichte über die Jagd auf Pelztiere in Afrika und das Angebot menschlichen Fleisches in Supermärkten. Heimtierfuttermittelbetriebe, Speisenabfallentsorger, Biogasanlagen , davon ca.60 in Stuttgart, kommen ins Visier der Ermittlung.

 

Threema=Shard

Die Kommunikationskanäle beschränken sich nicht auf Facebook, dort unterhalten sich Gruppen. Die privaten Kontakte mit ihrem Freund führt Lisa über Threema.
Der verwährte Zugang an verschlossene Facebook-Profile motivieren Lisa weiter zu graben und die Wahrheit zu suchen.

 

Polymerase-Kettenreaktionen

Auch der Besuch beim LKA fehlt nicht, Stuttgart besitzt kein rechtsmedizinisches Institut, mit einer Kurzgeschichte der Überführung von Tätern durch einen genetischen Fingerabdruck und der in der menschlichen DNS verborgenen Einzigartigkeit. Mehrere Bundesländer arbeiten zusammen, um Genmaterial zu untersuchen. Genanalysen und Polymerase-Kettenreaktionen brauchen Zeit.

 

Überwachte Ställe

Die Zuordnung der Maschine im Metzgereibetrieb ist äußerst schwierig wegen der handelsüblichen Folien, Aufkleber und Vakuumverschlüsse. Die Vermutung liegt nahe, dass hinter der Einzeltat eine Gruppe steckt. Lisa rätselt über den benachbarten Kreislaufhof und seine Prioritäten: vegan, nicht vegan, Abwasserforderungen, Müllabfuhrforderungen der Gemarkung, Abgaben für die Erschließung des Aussiedlerhofs etc. Und sie soll an der Aktion Polizeipferde zu befreien, um sie von der Rollkur zu retten, teilnehmen. Eine einfache Übung, nachdem die Hauptüberwachungskamera
im Stall ausgeschaltet wird. Sie steigt in ein Auto ein mit anderen, die ihr Gesicht vor ihr verbergen, sie ist die einzige nicht vermummte.

Im Radio

werden Texte gesendet ohne dass jemand weiß, von wem sie stammen und wenn jemand im Internet gesucht wird, sind die Leute verteilt auch in Zusammenhang mit ihrem Berufsfeld. Es wird sehr viel gefachsimpelt, jeder weiss Bescheid, alle treten selbstbewusst auf.
Und die Hauptfigur beteiligt sich an einer illegalen Aktion. Als das Stroh im Stall zum rauchen anfängt, rettet sie sich mit Mühe und Not ins Freie. Ihre Bekehrung zur veganen Lebensweise ist Folge ihrer Entdeckung des anonymen Blogs und des Lesens. Den persönlichen Kontakt sucht sie wohl im Zuge des kriminalistischen Konstrukts.

 

Darf man sich mit fremden Accounts anmelden???

 

Sie macht nicht nur bei der illegalen Befreiungsaktion mit, sondern meldet sie sich mit dem Account der Bloggerin an, durchsucht die Freundesliste und stellt fest, dass die Seite ein lückenhaftes Impressum hat.
Das Buch notiert ebenfalls die eventuellen Differenzen kommerzieller Seiten innerhalb Facebook mit dem Finanzamt. Das betrifft auch die Postings von Workshop Ergebnissen, die Themen aus dem nationalsozialistischen Deutschland aufgreifen, zum Beispiel den „konsequenten Tierschutz“ (S. 191).

Das kann eine Gratwanderung werden, wenn die Wortwahl nicht verstanden wird und der historische Kontext übersehen wird.

Tautologie

 

Die sektierende Gruppe, die mit Blogs in Bauernhäusern von Fortpflanzung abrät, trifft auf die Ermittlerin, der Verkörperung einer flatterhaften Persönlichkeit im Privaten, eine Eigenschaft, die sie nicht scheut im Öffentlichen zuzugeben. Ihre Tautologie wirft Exklusion und Extremismus in einen Topf, während Veganismus sich der Inklusion zuwenden will. Als abseits der Ermittlungen, in denen die künftige Ehefrau eines Staatsanwalts den Durchblick behält, die Lebenspartner ihren Wunsch zur Eheschließung kundtun, wird bekannt, dass Lisas Freund eine andere Identität hatte, die bis in die Geburtsurkunde hinein geändert wurde. Seine quasi Verlobte wiederum hält trotz der Heiratspläne nichts von Monogamie und widmet sich gelegentlich dem Genuss von Quickies, ihre persönlichen sexuellen Vorlieben auch in der Partnerwahl haben in der Öffentlichkeit nichts zu suchen, denn wir sind doch längst aufgeklärt.

Nische

Dieser Krimi ärgert mich, weil er sein umfangreiches Wissen um Tierschlachtung, Ernährung, Omnivorie und
militanten Veganismus in einen zähen Handlungsplot verpackt; das tut der Spannung keinen Gefallen, andererseits ist das Wissen um diese Nische, das hier dargeboten wird, nicht von der Hand zu weisen, auch für Leute, die vegetarisch und vegan vermischen.

 

Vegane Ernährung ist andererseits für Menschen mit Gluten-Allergie überlebenswichtig und die einzige mir bekannte Alternative.

Der Krimi übt sich im Spagatt zwischen trockener, sachbezogener Wissensvermittlung und dem Aufbau eines Spannungsbogens.
Die Protagonistin bewegt sich in einem mehr als nur diffusen Gebiet der Zuständigkeiten, sie ist keine Polizistin und keine
Privatermittlerin. Sie denkt mit dem Magen einerseits, sie vollzieht ganze Diskussionen, die sie nicht verbalisieren lässt, andererseits.

Die Lücken in den Zäunen der Datenbanken sind für Experten in Internetsicherheit ein Spaziergang, so im Buch.

Trivia

Dass Oldtimer literarisch getauft werden wie zum Beispiel Bronte wie im Krimi, finde ich eine gute Idee sich unter anderem an Klassiker zu erinnern, Trivia ist das auf gar keinen Fall.

 

Die Maske

Der Krimi ist eine Informationsflut über Selbstversorgung, politischen Veganismus und Häretismus und alle Dinge, die ich gerade besprochen habe. Wiederholungen verfestigen Eindrücke, die Spannung geht in diesem Buch baden, weil Information für ein Versuchslabor die Vorreiterin ist. Der Täter wirft sehr spät seine Maske ab und die Spannung nach der bangen Suche und der aktiven Gesprächskultur doch aufflackert und dabei wissen lässt, dass nicht alles was sich als vegan vorstellt auch vegan ist, die Ernährung von Babys und Kleinkindern hat deren Bedürfnisse zu folgen und Prinzipienverkostung ist hier fehl am Platz. Kyriaki Marati-Sparr Buecher-Logbuch

 

Hinweis auf Wirtschaft:

Tourismus.

Sonstige Hinweise:

Porsche, Metzgerausbildung, Metzgerbetriebe, Tierzuchtbetriebe, Tierärzte,
Landwirtschaftsverbände, Tierschutzorganisationen, Recycling.

 

Literaturhinweis

Christine Lehmann, Allesfresser, Argument Verlag, ISBN: 978-3-86754-211-1, Hamburg 2016.

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