Mario und der Zauberer | Thomas Mann

Eine Idylle im spätsommerlichen Ferienort, die eigentlich nichts trübt, erzählt Thomas Mann in "Mario und der Zauberer"

Literaturangabe Mario und der Zauberer von Thomas Mann

 

Buchtitel

Mario und der Zauberer, Ein tragisches Reiseerlebnis

Buchautor:

Thomas Mann

Erschienen:

Frankfurt am Main 2013

Verlag:

S. Fischer Verlag

Umfang:

107 Seiten

ISBN:

978-3-596-29320-9

Preis:

€5,95

Fremdenfeindlichkeit im Jahr 1930 in Thomas Mann „Mario und der Zauberer“

Illusion der Freiheit in einer kleinen Küstenidylle inspiriert aus dem Aufenthalt Thomas Manns in Italien. Die Nachsaison bei noch gut gefüllten Häusern und einem gut besuchten Strand malt die Idylle in spätsommerlichen Farben.

 

Buchcover „Mario und der Zauberer“

Idylle der Harmonie in „Mario und der Zauberer“

Auf dem Buchumschlag herrscht Harmonie für einen Augenblick gesichtsloser Bewegung. Hand in Hand laufen verspielt und sorglos Mädchen durch das Bild.

 

Thomas Mann

1875 in Lübeck geboren, lebte er seit 1894 in München. Er verabschiedete sich von Deutschland im Jahr 1933, lebte in der Schweiz, in den Vereinigten Staaten und nahm 1938 eine Professur an der Universität Princeton an. Später lebte er in Kalifornien und der Schweiz. Er unternahm sehr viele Vortragsreisen, unter anderem auch nach Deutschland. Er starb in Zürich am 12. August 1955.

Seine Werke sind international, „Mythos und Religion in seinem Leben und Werk“ gewinnen an Gewicht.

 

Traumreiseziel

Tyrrhenisches Meer, Italien.

 

Der Blick der Urlauber in „Mario und der Zauberer“

Eine deutsche Familie macht Urlaub in dem kleinen idyllischen Badeort Torre di Venere am Tyrrhenischen Meer.

Die Familie kommt in Torre di Venere an und zieht in das elegante Grand Hôtel ein.

Es ist unerträglich heiß. Torre di Venere ist sehr beliebt bei den Einheimischen, der Strand und die Cafés

sind gut gefüllt; das Gedränge behagt den deutschen Eltern nicht. Hinzu kommt ihre Empörung über die Anweisung

des Hoteldirektors, sie möchten bestimmte Hotelbereiche nicht betreten; sie seien für die Stammgäste reserviert.

Als die Familie ins Nebengebäude umziehen soll, weil ihre kleine Tochter ansteckenden Keuchhusten habe,

verlässt sie empört das Grand Hôtel und zieht in die kleine, familiäre Pension Eleonora ein.

Die Freude über den Wechsel ist kurz; sie beobachten das unruhige Treiben am Strand und werden wegen Vernachlässigung

ihrer elterlichen Pflichten zu einer Geldstrafe verurteilt.

 

Die deutsche Familie ist kurz davor, Torre die Venere zu verlassen,

als die Nachsaison anbricht und Cavaliere Cipolla, Illusionist und Zauberkünstler, seine einzige Vorstellung im Ort ankündigen lässt.

Die Kinder der Familie sind begeistert und drängen zum Besuch der Vorstellung. Die Vorstellung des Zauberkünstlers

beginnt mit Verspätung. Die deutschen Eltern sind verärgert, die Kinder neugieriger als je zuvor, die italienische

Zuschauermehrheit freundlich und milde ungeduldig. Im Laufe der Vorstellung zeigt sich der körperbehinderte Cipolla

als ein Meister der Manipulation. Sein Publikum schwankt zwischen Ungeduld und Begeisterung, Applaus und Widerstand;

früher oder später sind die Zuschauer von dem Auftreten des peitschenschwingenden Zauberers hypnotisiert.

Es hat den Anschein, dass sich Cipolla Alles erlauben kann, bis er den gutmütigen Kellner Mario, den die deutschen

Urlauber wegen seiner höflichen Art mögen, auf die Bühne holt. Auch Mario wird hypnotisiert und bloßgestellt; doch

er reagiert nicht wie die anderen „Probanden“ nach dem Aufwachen…

 

Inhaltsanalyse und Charakterisierung für „Mario und der Zauberer“

Schon der erste Satz spiegelt das unbehagliche Gefühl wider, das sich langsam und unaufhaltsam einschleicht.

Der Erzähler fühlt sich rückblickend in seinem Missmut durch den Abschluss der Geschichte bestätigt;

seine anfängliche Unzufriedenheit beruht auf allgemeine Beobachtungen über die Lage von Torre di Venere;

das Städtchen ist für die Mehrheit lediglich ein Nebenplatz in der Nähe eines beliebten Touristenzentrums,

für eine Minderheit eine verkehrsgünstige kleine Flucht; bis auch dieses Fleckchen Erde von Badeurlaubern

entdeckt wird und seinen individuellen Charme verliert. Die deutschen Eltern sind irritiert ob des geschäftigen,

lautstarken Treibens, der scheinbar chaotisch umherwandernden Menschenscharen; sie fühlen sich fremd in einer

anderssprechenden und andersdenkenden italienischen Welt; sie sind Außenseiter.

 

Hätte Hitze eine Farbe, wäre sie in „Mario und der Zauberer“ dunkel bis schwarz.

 

Nach den Ereignissen, die folgen werden, fühlen sich die Besucher in ihrem ersten Eindruck bestätigt;

ihre Kinder und sie werden unter fadenscheinigen Vorwänden diskriminiert und benachteiligt.

Besonders traumatisch wirken auf sie die Beschwerden über angeblich nicht ausgeheilte Krankheiten bis zu

unsittlichem Verhalten ihrer Kinder am Strand, dass sogar die strafregelnde Hand des Gesetzes erforderlich

zu machen scheint. Immer wieder fühlen sich die ausländischen Gäste ausgegrenzt und „gastfeindlich“ –

das Gegenteil von gastfreundlich –  behandelt.

Als das Werbeplakat mit der Ankündigung der Vorstellung Cavaliere Cipollas auftaucht, haben sie sich nach fast

zweiwöchigem Aufenthalt an ihren schlummernden Unmut fast gewöhnt und denken praktisch; sie liebäugeln nur entfernt

mit dem Verlassen des Ortes, weil er in der gerade anbrechenden Nachsaison etwas ruhiger zu werden scheint.

 

Ihre Ausgrenzung als Nicht-Einheimische,

ihre Seklusion als fremde Passanten macht sie zu etwas Besonderem,

was nicht erstaunlich ist; ihre Individualität hebt sie von dem Rest der Gesellschaft hervor, die sich gleich

zu verhalten weiß und Veränderungen ablehnt. Sie fühlen sich ins Abseits gestellt, und sie stellen sich von Anfang

an ins Abseits. Nichtsdestotrotz sind sie durch ihren Randplatz eher in der Lage, mit nüchternerem Blick zu beobachten;

ihnen bleibt die wohl allgemein herrschende Betriebsblindheit erspart; was sie sehen, lässt Alarmglocken läuten.

Das Volk erlebt einen Albtraum, eine Illusion des Glücks, der Ausgelassenheit und der Sicherheit, schon bevor die

Vorstellung des Zauberers beginnt. Der Zauberer macht deutlich, wie lenkbar Menschen sein können, wie viel sie von

ihrer Persönlichkeit bereit sind aufzugeben, weil eine selbsternannte Machtfigur mit mehr oder weniger Führungsanspruch

ihnen durch Instrumentalisierung ihrer Angst und durch Täuschung, Verwirrung und Unsicherheit vorspiegelt.

Sein öffentlich zur Schau getragener körperliche Makel erweckt Ekel, Mitleid, Neugier, sogar den Wunsch, ihm zuzuhören,

ihm zu folgen; die Grenzen zwischen Faszination und Gehorsam aus Angst vor Schmerzen und vor Zurschaustellung zerfließen.

 

Der Zauberer Cipolla hält dem Publikum den Spiegel vor,

und sie könnten ihre Schwächen sehen, stattdessen sehen sie nur ihre dunklen

Sehnsüchte, ihre Ur- und anerzogenen Ängste. Zutiefst verwirrt schlafwandeln sie wie Marionetten durch den Saal, bis der

Hypnotiseur ihr Aufwachen zulässt. Sie glauben, sie sind frei, und sie irren sich, weil sie auch nach dem Aufwachen Gefangene

ihrer geheimsten derweil öffentlich gewordenen Träume bleiben.

 

Nur Mario bricht letztendlich aus dem Bannkreis des Zauberers, in dem er die Tat begeht, und macht deutlich, dass die

Illusion auch wie eine Seifenblase hätte zerplatzen können, wenn die Mehrheit es nur gewollt hätte. Marios Akt ist die

Tat eines Einzelnen, der plötzlich aufwacht, um seine Täuschung auf seiner Art zu rächen; dabei befreit er unwillkürlich

das noch verblendete Publikum. Für diesen Augenblick; der bald vergessen wird. Vorhang zu. Das Drama ist zu Ende.

Und die Illusion?

 

Das Unbehagen des erzählenden Betrachters in „Mario und der Zauberer“

ist hautnah zu spüren; Sätze wie Gedankenstürme beherrschen den Sprachstil und

machen das Erleben der Inhalte intensiver; die abschließende Eskalation erscheint fast vorprogrammiert; das Publikum wirkt

machtlos vor der Führungsparade des Zauberers Cipolla.

 

Tatorte

 

Forte dei Marmi/Thyrrenisches Meer/Italien, fiktionalisiert als Torre di Venere

 

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