Bugatti taucht auf | Dea Loher

Bugatti

Eine wahre Geschichte wird in diesem Roman mit Fiktion verknüpft und in der Mitte steht ein Bugatti.

Oldtimer

Der Blickfang ist der Wagen; wie ein Museumsstück erhebt er sich und will seine Geschichte berichten.

 

Übersetzung

Eine kurze Geschichte der Automobilfamilie ergänzt die Fiktion.

Dea Loher

1964 in Traunstein geboren, Dramatikerin, Prosaautorin, Germanistik und Philosophie an der Ludwigs-Maximilians-Universität München, Aufenthalt in Brasilien; ihre Stücke reisten zu Festivals nach Sao Paulo, Porto Alegre und Rio de Janeiro; Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung, Joseph-Breitbach-Preis; heutiger Wohn- und Arbeitsort Berlin.

 

Traumreiseziel

Locarno; Schweiz.

Die Karnevalsnacht

 

Aus den Tagebucheintragungen von Rembrandt Bugatti, Spross der berühmten Automobilfamilie, erfahren wir, dass Rembrandt zur Hälfte taub ist, Akte malt und Tierskulpturen fertigt.

Dezember 1913

Rembrandt trifft sich mit Elise, die später ihre Bekanntschaft beendet und mit ihrem Verlobten nach England zieht. Rembrandts Bruder Ettore wohnt im Elsass mit seiner Familie, entwirft Bugatti-Modelle und führt das mittelständische Familienunternehmen. Als der erste Weltkrieg ausbricht, fliehen beide Brüder nach Mailand, Ettore gelingt es, einige der Wagen ins Exil zu retten. Rembrandt kehrt nach kurzer Zeit nach Paris zurück. Er trifft seine alte Klassenkameradin Minerva wieder und verliebt sich halb in sie. Auch diese Bekanntschaft geht zu Brüche.

Januar 1916

Rembrandt quälen Albträume, seine Depressionen nehmen zu. Er plant seinen Selbstmord.

Februar 2008, Locarno

Luca Mezzanote verabredet sich mit seinen Freunden zur Stracionada, der Karnevalsnacht in Luzern. Sie fahren nach Locarno, treffen sich mit vier weiteren Freunden und verbringen Zeit in ihrem Stammverein bis kurz nach 23 Uhr. Die sechs Freunde trennen sich und verlieren sich aus den Augen.
Locarnos Straßen sind voll mit jungen Menschen, manche sind verkleidet, manche tragen ihre Alltagsklamotten, alle sind in Partylaune, viele sind angetrunken. Valon trifft sich gegen 21:00 mit Branko, später mit Ilja, sie trinken Bier und planen den Abend. Sie wollen wie alle anderen die Karnevalsnacht feiern.

Kurz nach halb zwölf bricht ein Streit auf der Piazza San Antonio aus.

Brando, Ilja und Valon greifen Luca an,

der dem Streit beiwohnt aber nicht direkt beteiligt ist. Nach wiederholten Fußtritten gegen den Bauch und den Kopf bleibt Luca am Boden liegen.
Die drei Täter verlassen die Piazza und werden am nächsten Morgen in Gewahrsam genommen. Luca stirbt am darauffolgenden Tag an seinen Verletzungen. Die Täter kommen vor Gericht.

Venezuela zur selben Zeit

Jordi, ein Bekannter von Lucas Vater, erklimmt mit einem Freund die Berge Venezuelas, als seine Ex-Freundin ihm von Lucas Tod erzählt. Er nimmt den nächsten Flug nach Mailand, geht zu Lucas Beerdigung und fährt später an den Lago Maggiore.

Jordi erinnert sich, dass ein alter Wagen, vermutlich ein Bugatti seit Jahrzehnten im See liegt.

Er entschließt sich, den Bugatti zu bergen und sucht nach erfahrenen Tauchern. Jordi möchte den Bugatti dem Andenken an Luca widmen.

 

Distanziert und augenscheinlich leidenschaftslos

wie ein Polizeiprotokoll erzählt die Autorin die Geschichte. Ein junger Mann geht eines Abends aus und kommt nicht wieder zurück. Er wird umgebracht, weil er sich zufällig zur selben Zeit am selben Ort aufhält wie seine Täter. Er ist nicht an dem Streit verwickelt, der im späteren Tatort ausbricht.
Welche eine letale Ironie des Schicksals.

Die Täter sind Migrantenkinder der 2. Generation, bestimmt nur ein Zufall.

Die Autorin erzählt im 2. Kapitel von der unbegreiflichen Tat, sie übernimmt die Funktion eines protokollierenden Polizeibeamten in einem schweizerischen Kanton.

 

Die vielen voneinander abweichenden Zeugenaussagen

hüllen den Tathergang in einen Nebel voller Fragezeichen ein:
wer, wie, wann, womit, wie lange. Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Alkoholismus und Drogenkonsum in jugendlichen Milieus, vor Allem in jungen Emigrantenmilieus in einem anscheinend beschaulichen Ort finden ihren explosiven Höhepunkt in einem Mord. Die X-Beliebigkeit der Opferwahl ist nicht Locarno spezifisch.

Orte und Taten sind austauschbar.

Jordi ist ein Sportskamerad von Lucas Vater, er ist kein enger Freund der Familie. Trotzdem macht ihn Lucas Tod betroffen. Die Nachricht erreicht ihn unerwartet, beendet vorerst seine idyllische Bergwanderung fernab seines Heimatlandes. Seine hilflose Wut sucht einen Kanal, der Wunsch taucht auf in ihm, Schönheit im Verborgenen zu suchen und sie dem abgrundtiefen, weil beliebigen, Bösen entgegenzusetzen.

Sein Gesuch ist gewaltfreier Umgang mit der Gewalt und das Gute in Gestalt einer vergessenen, versunkenen Pracht
auftauchen zu lassen.

Die Menschen erinnern sich an das in Vergessenheit geratene Schmuckstück, bewundern es und bringen es ins Bewusstsein.

 

Ein alter Wagen mit Seltenheitswert, eine Zierde

unter seinesgleichen liegt einsam und vergessen im Schlamm des Lago Maggiore. Jordi, der Phantast und gefühlsvoller Abenteurer, macht sich es zur Lebensabschnittsaufgabe, den Wagen auftauchen zu lassen, seine Schönheit in das Tageslicht zu bringen.
Es ist Jordis Tribut an Luca Mezzanotte, in Memoriam für einen jungen Menschen, der zu früh gegangen ist.

Gleichzeitig ist er auch der Versuch die zerbrechende heile Welt wiederherzustellen.

Der im Lago Maggiore im Dornröschenschlaf schlummernde Bugatti wird geborgen und öffentlich zur Schau gestellt. Seine wechselvolle Geschichte, seine Beziehungen zu längst vergessenen Menschen, die ihn liebten, begleitet ihn auf den Weg an die Oberfläche.

Am Anfang der Geschichte stehen die Tagebucheinträge von Rembrandt Bugatti,

dessen Lebenslust vor unseren Augen langsam versinkt.
Demgegenüber steht der aus dem Wasser und der Vergessenheit aufgetauchte Bugatti. Lucas Andenken wird ins Leben gerufen, und Jordi ist auf der Suche nach sich selbst. Der Roman bringt Wiederentdeckungen, Bergungen und Auflösungen ins Bewusstsein und dient als ein
204-Seiten langes Katharsis-Instrumentarium. Er basiert auf Tatsachen. Wie ein Polizeibericht liest sich das Buch.
Der Roman thematisiert nicht zuletzt Gewalt in der Schweiz verursacht durch Einwanderer aus den Regionen Balkan und Osteuropa.

Info

Ein Bugatti ist aus dem Lago Maggiore geborgen worden und Damiano wurde 2008 in der Locarno Fastnacht
von drei Jugendlichen getötet.

Kyriaki Marati-Sparr Buecher-Logbuch

 

Tatorte

Locarno/Schweiz
Lago Maggiore

Reiseführer

 

Wirtschaft in einem europäischen Land als nicht Mitglied der EU

Tourismus; Automobile der Oberklasse, Schuhe, Einwanderung, Bildung.

 

Literaturhinweis

Dea Loher, Bugatti taucht auf, Wallstein Verlag Göttingen 2012.

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