Schuld ohne Sühne | Angelica Netz

BUCHCOVER
Schuld ohne Sühne

Eine alte Fotographie und eine Todesanzeige, die in einem Nachlass entdeckt werden. Ein Haus. In die Jahre gekommen. Die Namen auf der Todesanzeige sind der Hinweis auf einen realen Fall aus dem Nachkriegsdeutschland. Es ist ein ungelöster Fall, dessen Abschluss die damaligen Umstände verhinderten. Die Kriminalgeschichte erinnert an die Burgerhausmorde im Jahr 1946 und gibt den Opfern und den Hinterbliebenen eine Stimme. Der Titel „Schuld ohne Sühne“ wird dabei hinterfragt. Warum die Täter davonkommen konnten, inwiefern sie ihre Tat bereut haben, wie die Ermittlungen in die Jahre kamen, und ob es eine Möglichkeit gegeben hat, den Fall gelöst ad acta zu legen.

Die Infos zum Buch

Autor: Angelica Netz
Verlag: KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH
Übersetzung: ./.
Erschienen: 2024
Umfang: 220 Seiten
Preis: € 13,00(de)
ISBN: 978-3-95441-681-3

ZIELGRUPPE

Eine Geschichte, die alte mit neuen Ermittlungen verbindet, einen ungelösten Kriminalfall behandelt, der wiederaufgenommen wurde, verliert nicht ihre Nähe zu Fakten und Tatsachen, die Leserinnen und Leser interessiert. Der historische und regionale Aspekt rundet das Bild ab, indem er über die damaligen Ereignisse und Ermittlungen informiert. „Displaced Persons“ (DPs), die straffällig geworden sind, waren beteiligt.

Ehemalige Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und auch KZ-Häftlinge, zählten zu den „Displaced Persons“ (DPs). Sie waren zur Arbeit in Fabriken, Bergwerken oder in der Landwirtschaft gezwungen worden, wurden nach der Befreiung von den Besatzungsmächten zunächst in Lagern untergebracht und sollten so bald wie möglich mithilfe von Flüchtlingsorganisationen in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. Manche haben von den Amerikanern nach der Befreiung als Ersatz für die Lumpen, die sie am Leib trugen, Uniformen bekommen.

Eine Reise in die Zeit vor dem Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland macht mit der lokalen Arbeit der Polizeibehörde vor allem in den sechziger Jahren bekannt, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittelmarken und das Hamstern nach dem Krieg, Entnazifizierung sowie auch die Kasernierung von Displaced Persons (DPs) in Lagern und konzentriert sich vor allem auf den Begriff der Verjährung von Straftaten.

Nach geltendem Recht verjährten damals Kapitalverbrechen wie Mord und Völkermord nach zwanzig Jahren. Als Stichtag für den Beginn der Verjährung wurde in der französischen Zone der 9. Mai 1945, also der Tag nach der deutschen Kapitulation, festgelegt.

Die Verjährungsfrist könne nicht nur die Verbrechen der Nazis straffrei stellen, sondern auch die zahlreichen Verbrechen, die in den chaotischen Zeiten nach Kriegsende in Rheinland-Pfalz verübt wurden. (Netz, Angelica: Schuld ohne Sühne, 1. Aufl., Hillesheim: KBV, 2024, S. 9)

Der Bundestag beschloss 1969 eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf dreißig Jahre bis zum 31. Dezember 1979. Die Verjährungsfrist für Mord wurde 1979 aufgehoben.

Kiki’s Rezension: Schuld ohne Sühne

EINLEITUNG

Die Autorin entdeckt im Nachlass ihres Vaters eine Todesanzeige aus dem Jahr 1946, auf der mehrere Namen zu lesen sind. Sie recherchiert über den realen Fall der Burgerhausmorde in Andernach und schreibt eine Kriminalgeschichte, in der es um Schuld geht. Ohne Sühne, wie es sich herausstellt, weil die Täter der Strafe entgehen. Warum das Gesetz die Täter laufen ließ und warum auch in späteren Jahren nicht möglich war, sie zu überführen, wird in dieser Geschichte erzählt.

 

 

INHALTSANGABE
Schuld ohne Sühne

Der Tatort – Burgerhaus in Andernach

Das zweistöckige Gebäude liegt zwischen Andernach, Eich (heute Stadtteil von Andernach) , Nickenich, Kretz, Plaidt und Miesenheim (heute Stadtteil von Andernach).

Andernach liegt am Rhein, im Bundesland Rheinland-Pfalz. Die Stadt, die in den achtziger Jahren ihr 2000-jähriges Bestehen feierte, ist seit der Neuzeit industriell geprägt.

Der Sand- und Schotterweg durch die fruchtbare Vulkanlandschaft ist holprig. Dort leben in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Familienmitglieder. Die Frau des ermordeten Bauern mit ihren Kindern, die Geschwister, die den Überfall überlebt haben, und die hinzugezogene Schwester aus Köln. Sie sind nicht begeistert, die Polizei vor ihrer Tür zu sehen und Fragen beantworten zu müssen. Trauer, Schmerz und Angst kehren zurück und erinnern sie an die Nacht, die sie traumatisiert hat. Die Verdachtsmomente, die es gegen die Schwester gegeben hat, die den Überfall überlebt hat, belasten sie ebenfalls.

 

Die Täter

Lebensmittelrationen nach Kriegsende und Hamstern sind der Alltag. Die Militärbehörden der Alliierten verwalten die Besatzungszonen und drücken auch mal ein Auge zu, wenn Displaced Persons (DPs) die umliegenden Gehöfte auf der Suche nach Lebensmitteln oder wertvolleren Gegenständen überfallen. Es gibt Displaced Persons (DPs), die nicht in ihre Heimatländer zurückwollen, weil sie dort Schlimmeres erwartet als die Kasernierung in den Lagern der Alliierten.

Zusammen mit anderen Displaced Persons (DPs) wollten ein paar Männer den Hof des Burgerhauses überfallen, weil dort eine große Menge Bargeld versteckt sein soll. Sie sind bewaffnet. Es ist nicht das erste Mal, dass sie das Anwesen überfallen, aber sie waren noch nie im Haus. Diesmal wollen sie Geld haben. Und haben keine Skrupel, ihre Waffen zu benutzen.

Einer der Täter des Überfalls auf das Burgerhaus von Andernach lebt nach seiner Flucht in einem anderen Lager, in dem er sich hat neu registrieren lassen und braucht Geld, um seine Auswanderung in die USA oder nach Kanada zu bezahlen. Eine Rückkehr in seine Heimatstadt Saratow kommt zunächst nicht in Frage. Er bereut seine Taten nicht.

Saratow hat ca. 837.900 Einwohner und liegt an der Wolga. Von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zu den Deportationen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg lebten in der Stadt Nachkommen deutscher Einwanderer, die unter der Regierung Katharinas der Großen an der unteren Wolga ansässig wurden (Wolgadeutsche).

 

Wiederaufnahme der Ermittlungen 1964

Der 35jährige Kriminalkommissar Rudolf Wafzig, der neu im LKA (Landeskriminalamt) Rheinland-Pfalz ist, wird mit nicht gelösten Fällen des LKA-Archivs aus den Zeiten nach Kriegsende betraut, als das heutige Bundesland Rheinland-Pfalz der französischen Besatzung unterlag. Das Ziel ist, die alten Kriminalfälle einer Aufklärung zuzuführen, bevor sie verjähren. Wafzig solle prüfen, ob sich in den Akten neue Ansatzpunkte für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen finden lassen. Nicht ohne große Zweifel an dem Erfolg seiner Suche, die bereits von anderen Ermittlern als „Aufklärung unwahrscheinlich“ eingestuft wurde, macht sich Wafzig ans Werk. Es fällt ihm auf, dass bei allen Taten die mutmaßlichen Täter Displaced Persons (DPs) aus den nahe gelegenen Lagern waren und dass die Aufzeichnungen zu den Ermittlungen dürftig sind.

Die Alliierten waren zuständig für die Verbrechensaufklärung, vor allem bei Straftaten, die von Displaced Persons begangen wurden. Die Ermittlungsakten wurden beim französischen Obertribunal in Rastatt bis 1955/56 aufbewahrt.

 

Die Akte Andernach 1946

Als Wafzig die Akte über den Überfall auf das Burgerhaus bei Andernach 1946 mit neun Toten aufschlägt, ist seine Neugier geweckt. Die Akte ist im Vergleich zu anderen Akten umfangreich. Die französischen Militärbehörden haben nicht fokussiert ermittelt, so sein erster Eindruck. Der Polizeichef, ehemaliger Verwaltungsangestellter und nicht ausgebildeter Polizist, hatte im Vergleich zu anderen Kandidaten auf den Posten eine unbelastete Vergangenheit. Die Ermittlungen wurden 1956 eingestellt. Was war das Motiv für diese grausame Tat? Gespannt liest Wafzig weiter und erfährt, dass es auch Überlebende des Verbrechens gibt. Diese Zeug:innen sind ein möglicher Ansatzpunkt für neue Ermittlungen.

Obwohl die Ermittler damals mehrere am Überfall Beteiligte identifizieren konnten, wurde keiner der Täter für diese Tat vor Gericht gestellt.

Spuren wurden nicht zu Ende verfolgt und Aussagen von Zeugen blieben unberücksichtigt. In den fünfziger Jahren hat der Bruder, der Einschränkungen hatte, als einziger einen der Täter identifiziert, der damals wegen eines anderen Delikts einsaß. Aber zur Gegenüberstellung wurde dieser Zeuge nicht eingeladen.

Bevor Wafzig die Ermittlungen wieder aufnehmen kann, benötigt er die Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft. Vor dem Hintergrund der damals noch ausstehenden Entscheidung über die Verjährungsfrist von Kapitalverbrechen, ist daher keine Zeit zu verlieren.

 

INHALTSANALYSE & CHARAKTERISIERUNG

Wafzig ist der Inbegriff des ehrgeizigen Kriminalbeamten, der nach lokalen erfolgreichen Ermittlungen in Mainz beim Landeskriminalamt in Koblenz alte Akten sichten soll. Seine Vergangenheit als Hitlerjunge mit 14 ist wie bei vielen anderen Deutschen nicht zu leugnen, sie gehört aber damals schon der Vergangenheit an. Darüber wird nicht geredet. Während er sich Gedanken über Spuren nationalsozialistischen Gedankenguts in Behörden und Ämtern macht, als er zum Beispiel den Staatsanwalt besucht, haben die Ermittlungen im Burgerhaus-Fall Vorrang, nicht die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Der Kriminalkommissar taucht beim Lesen der Akten in eine Zeit ein, die er als Jugendliche bewusst wahrgenommen hat. Er tritt als zehnjähriger 1939 der Hitlerjugend bei und hat seitdem in den Ferien selten Zeit, seine Großeltern in Andernach zu besuchen. Mit Leib und Seele Junggeselle und Polizist, leidenschaftlicher Fußballer und angehender Ruderer ist er dem schönen Geschlecht nicht abgeneigt, ohne sich binden zu wollen.

Wafzig will diesen mehrfachen Mord aufklären, denn ein solches Verbrechen darf nicht ungesühnt bleiben. Im Laufe seiner Ermittlungen wird er Enttäuschungen erleben, sein Ziel und seinen Standpunkt anzweifeln.

 

Schuld ohne Sühne
FAZIT

Rekonstruktion der Zeit vor, während und nach der Tat. Der Fokus ist auf einen der Täter, seinen Hass auf die Deutschen, seine Flucht nach dem Mord. Sein Weg jenseits der Legalität verleiht dem inzwischen zeitlich entfernten Verbrechen, das er in Andernach beging, eine persönliche Note. Die Ermittlungen des LKA (Landeskriminalamt) Koblenz nach der Wiederaufnahme des Verfahrens laufen in eine Sackgasse. In der Realität der Geschichte fliehen die Täter und die Tat bleibt ungesühnt. In späteren Jahren erinnert sich der noch lebende Täter nicht mehr an seine Tat. Die Lücken haben die Tat zeitlos gemacht. Wenig Interesse an der Aufklärung der Burgerhaus-Morde, der Täter zeigte keine Reue, es gab keine Strafe, der Täter hat keine Erinnerung mehr.

Erschreckend realistisch nach einem wahren Fall. Die nüchterne Betrachtung einer kaltblütigen Tat und der anschließenden unfruchtbaren Ermittlung. Inklusive vieler Reisen des ermittelnden Polizeibeamten, der Informationen und den Täter sucht.

Koblenz. Andernach. Diez. Werl. Rheinbach. Saratow.

Der Täter in „Schuld ohne Sühne“ vegetiert physisch und moralisch, nach dem er der deutschen Justiz entwischt ist. Gewissenskonflikte sind ihm fremd, weit entfernt von Dostojewskis Romanfigur Raskolnikow in „Schuld und Sühne“.

Orte der Handlung: Andernach und Koblenz, Nordrhein-Westfalen

Burgerhaus Andernach

Der Tatort 1946. Die Überlebenden, die von Kriminalkommissar Wafzig befragt wurden, lebten 1964 immer noch im Elternhaus.

Ehemalige Kaserne Niederlahnstein

Lager für Displaced Persons (DPs) 1946, in dem auch einer der Täter auf die Rückführung in die Heimat wartet, die er unbedingt vermeiden will.

Wald bei Namedy (heute Stadtteil von Andernach)

Eine Bande richtet 1946 ein Lager für Raubzüge auf die umliegenden Höfe ein. Die Mörder von Andernach finden dort Unterschlupf, den sie mit gestohlenen Lebensmitteln aus dem Burgerhaus bezahlen.

Staatsanwaltschaft Koblenz

Kriminalkommissar Wafzig besucht 1964 den Staatsanwalt, der über eine Wiederaufnahme des Verfahrens entscheiden wird.

Schreibe uns Deinen Beitrag!

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht oder weitergegeben. Du erhälst keine Werbung von uns! Bitte respektiere die Meinung und Sicht eines anderen. (Erforderliche Felder sind mit einem * markiert)