The Museum of Desire | Jonathan Kellerman

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LITERATURANGABE

Jonathan Kellerman

Verlag: Ballantine Books Penguin Random House

Erschienen: New York 2020

Umfang: 368 Seiten

ISBN: 978-1-78746-120-8

Preis: € (de)

 

BUCHCOVER The Museum of Desire Jonathan Kellerman

Der Weg zum Tatort, der ein anderer ist. Jemand hat ein obszönes Verbrechen begangen. Die Landschaft ist gefangen in diesem einen Moment der Stille nach der Tat und der Stille nach der Entdeckung dessen, was geschehen ist. Die Stille umfängt die Natur, urbane Landschaft, jeden Punkt, jedes Detail, das sich finden lässt.

Nur die Schatten werden länger, als würden sie in der Stille wachsen.

Und die Autos, weil sie eine Rolle spielen in diesem Buch; sie fangen den Augenblick der Fassungslosigkeit und Starre ein, die den Tatort zeigt wie auf einem Foto aus dem Tiefkühler. (TB)

 

Sind das Zellen auf dem Buchcover?

Wie ein Virus bei der chemischen Reaktion mit seinem Wirt, um die Überlebensfähigkeit zu sichern, in dem das fortpflanzungsunfähige Virus Kopien von sich herstellen lässt und mit einer biologischen Antenne versendet.

Oder wie ein Netzwerk, das um eine Tat ermittelt, ist die Suche nach Täter und Motiv ein kompliziertes Unterfangen.

Die Fokussierung fehlt, weil der Charakter der Tat und ihre Platzierung im Tatort pervertiert ist. (HC)

 

ZIELGRUPPE

Für Jonathan Kellerman ist dieser Kriminalroman ein Spätwerk. Es demonstriert, dass die Inhalte der neuen und der alten Werke sich innerhalb des Stadtbilds Los Angeles ergänzen. Das Stadtbild verändert sich ebenfalls unter anderem entlang demographischer Pfade. Neue Leser lesen dieses Buch auch ohne oder auch nach der langen Folge der Vorgänger. Leckereien müssen manchmal warten, bis sie dran sind.

 

Kellermans Bücher sind primär mit der Stadt verbunden,

der Metropole und ihren Stadtteilen. Oberflächlich nicht für schwache Nerven geeignet.

Die theatralische Note andererseits verharmlost nicht die Tat, sondern macht sie zum Objekt eines Gehirns, das entweder krank ist oder extrem abfällig denkt über Menschenleben. Je pense, mein zukünftiges Studienfach steht fest.

Es ist das Porträt eines Charakters, der gewohnt ist, Grenzen zu übertreten und der Verantwortung flieht, in dem er egozentrische Entscheidungen trifft.

 

Morbidität in der Kunst

ist häufiger ein Merkmal von berühmten und in diesem Fall weniger bekannten Werken. Die Verbindung mit Sammlungen aus der Zeit des Nationalsozialismus (Sammlung Hermann Göring) hat eine historische aber auch eine persönliche Perspektive.

Eine komplette Liste der von Hermann Göring in Carinhall gesammelten, entarteten und entwendeten Kunstwerken ist 2015 im Archiv des französischen Außenministeriums gefunden. Dieser sogenannte Göring-Katalog („Le Catalogue Goering“) erschien 2015. Carinhall war ein Gut im Norden des heutigen Landes Brandenburg, das Göring angehörte.

 

Kiki´s Rezension: The Museum of Desire ꟾ Jonathan Kellerman

EINLEITUNG

Ein bewährtes Duo, das sind der Polizist Milo und der Psychologe Alex, haben keine Erklärung dafür, was die Opfer verbindet, was den Täter bewegt, was die Bühne zu bedeuten hat. Mit dem Stadtbild verändern sich vielleicht auch die Einwohner wie auch die Taten und Motive, so dass manche Täterprofile im Dunkeln bleiben.

Im Dickicht der Stadtteile. Solange der Sinn fehlt.

Grausamkeit, Hinterhältigkeit, Egomanie, Gier und Misanthropie werden im Laufe der Handlung transparent, aber nicht verständlicher. Sie helfen bei der Suche nach einem Täter, der vielleicht auch Anstifter zum Mord ist.

 

INHALTSANGABE

 

Dr. Alex Delaware, Psychologe und Polizeiberater, wird zu einem Tatort gerufen und trifft dort seinen guten Freund Leutnant Milo Sturgis vom Los Angeles Police Departement, kurz L.A.P.D.

Der Autor therapierte laut Berichten auffällige Jugendliche und trat vor Gericht als Expert Witness auf.

Die Tat geschah in einem großen Haus, das auch Event-Location für junge Leute war.

Der Tatort ist wie eine Doppelverpackung:

ein Haus wie ein Schloss aus Steinimitationen und eine Limousine beim Swimming-Pool mit vier arrangierten Leichen in einem Bad von tierischem Blut. Meiner Ansicht nach mehr als nur ein Hauch von Hollywood, obwohl der Autor gegen Verfilmungen ist.

 

Post-Mortem

Die Mordmethoden sind unterschiedlich, die authentischen Tatorte weichen voneinander ab. Die Opfer wohnten nicht im gleichen Stadtteil, sie hatten nichts gemeinsam und die bizarre Inszenierung im Wagen ist post-mortem. Milo und Alex denken über die möglichen Motive nach, die diffus sind und die Ermittlungen erschweren.

Darüber hinaus verkompliziert der Fund von tierischem Blut am Tatort die Untersuchung.

Gleichermaßen schwierig ist die Feststellung der Identität des einzigen weiblichen Opfers. Deren Obduktion ergibt gesundheitliche Vorerkrankungen.

Die komplizierte Ermittlung auf der Suche nach einem Motiv führt zu einem Treuhandvermögen, das gegründet wurde um den finanziellen Bestand der Ehe und der dazugehörigen Unternehmen zu sichern.

Das an der Peripherie erwähnte aber deswegen nicht minder kritische Merkmal

ist, dass die im Kunstgewerbe tätigen Firmen nach Referenzen aus der Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands getauft werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Chefs dieser Unternehmen über die ursprüngliche Herkunft des Namens informiert sind, aber nicht unbedingt die Kunden.

 

INHALTSANALYSE UND CHARAKTERISIERUNG

Die Suche nach dem Mordmotiv einer inszenierten Tat

Behutsam bewegt sich die Handlung, so dass der Eindruck entstehen könnte, der Täter wird nicht ermittelt. Seine Taten werden nicht sanktioniert, denn es gibt bis auf Befragungen und Beratungsgespräche kaum Fortschritte.

Die Illusion der Langsamkeit ist perfekt, vorerst.

Alexander Dumas Delaware,

kurz genannt Alex, verdient sein Geld mit Vormundschaftsgutachten. Der vorliegende Fall wird eingeschätzt entweder als das Werk eines Psychopathen oder als theatralische Instrumentalisierung vier scheinbar unzusammenhängender Morde. Der ausgefeilte Small-Talk zwischen Insidern, zwischen langjährigen Ermittlungspartnern, weist auf überlappende Berufsfelder und auf eine berufliche Bekanntschaft, die die Grenze zum Privatleben überschreitet.

 

Gruselkabinett oder Wachsfigurenmuseum

Inszenierung oder Tatortpräparierung als Gruselkabinett oder Wachsfigurenmuseum, um den Eindruck theatralischer Platzierung zu erwecken, konfrontiert die Version des Mordmotivs aus der Kategorie der Psychosen.

Die sexuelle Komponente ist Teil der Inszenierung und weist auf den Anspruch, Macht zu demonstrieren.

 

Symbolische Bilder

Kiki´s Interpretation: Die Opfer sind gefangen im Blut, das ihnen bis in die Knie reicht.

Sie können sich nicht bewegen, als ob sie Fußfesseln tragen. Sie sind stationär.

In einem Wagen mit gemietetem Fahrer, der genauso so gefangen ist wie sie. Es ist eine komplette Stagnation und Stille, die eingetreten ist ab dem Zeitpunkt des Todes. Energie im symbolischen Sinne geht ausschließlich von der einzigen Frau des Quartetts aus. Sie ist auf dem ersten Blick triebgesteuert.

Die Dringlichkeit der Szene bedingt durch die Dominanz von Rot ist gebremst und eingefroren.

Der Stopp ist endgültig mitten in der Bewegung.

 

Die sexuelle Befriedigung

ist nicht primär. Es geht um Aggression als Ventil und als Machtinstrument.

Die Perversion der Tat im Buch trägt pornographische Züge und führt zu einem Gemälde aus dem frühen 16. Jahrhundert, kurz nachdem die Kutschen sich als Fortbewegungsmittel etablierten. Eine Kutsche ist auf dem Gemälde „The Museum of Desire“, den Namensgeber für den Buchtitel, aus dem Jahr 1510 zu sehen.

 

Die Mordopfer

Unter den Mordopfern gibt es z.B. einen Mann mit Entwicklungsverzögerung, der semiselbstständig leben kann. Einen haitianischen Chauffeur. Einen Mann mit vielen unterschiedlichen Sex-Partnerinnen und wenig Interesse, sich emotional zu binden. Und eine ältere Frau, deren Part im Tatort sexualisiert wird als Lust spendende Weiblichkeit vor einem Publikum.

Die Hälfte der Toten haben keine Internetpräsenz. Die Ermittler suchen nach Gemeinsamkeiten im Zufall.

Gab es eine Selektion der Opfer? Sind Emotionen im Spiel, die Täter identifizieren könnten? Wer sind die Opfer? Hatten sie Familie? Hatten sie Freunde?

Solomon Roget, der Fahrer,

78 Jahre alt, der Geschäftsmann Richard Peter Gurnsey, 36 Jahre alt, der junge hübsche Frauen traf, der zurückgebliebene Benson Mauricio Alvarez, 44 Jahre alt, wohnhaft in einer Einrichtung für semiselbstständige Menschen unterschiedlicher Behinderungsgrade und die unbekannte Frau, deren Identität im Dunkeln liegt und von der gemutmaßt wird, dass sie obdachlos ist; ihr Name ist Mary Jane Huralnik, 59 Jahre alt.

 

Andere Charaktere und ein Mörder unter ihnen?

Werden die sehr unterschiedlichen Menschen, die die Opfer annähernd gekannt haben, in der Lage sein, zur Aufklärung beizutragen? Es sind Andrea Bauer, die Eigentümerin der Behinderteneinrichtung. Candace Kierstead, die auf der Party im Haus des Tatortes gewesen ist. Joan Blunt, eine von Ricky Gurnseys Freundinnen. Ellen Cerillo, eine zweite Freundin von Ricky Gurnsey. Medina Okash, die Kunstgaleriebetreiberin. Crispin Moman, der während der Party Streit gehabt. Und zwei Leute angegriffen hat.

Sister Emeline Beaumont,

die über einen alten Schulstreit die Wahrheit weiß. Und last but not least Stefan Sigmund Kierstead, der Vielgereiste (sein Spitzname ist Sig).

Was geht im Kopf eines Menschen vor, der sich nach der Waffe Sig (Sauer) nennt?

Ist es Zufall, dass derselbe Mensch den Namen des Gründers der Psychoanalyse trägt?

Werden überforderte Polizisten mit latentem Aggressionspotential wie Moses Reed beim Fall helfen können oder geht es darum, dass erfahrenes Personal sowohl aus den Polizeireihen wie Milo Sturgis als auch begleitende unabhängige Berater wie Alex Delaware eingeschaltet werden müssen?

Der Roman thematisiert die Diskussion über mentales Alter, Intelligenzquotienten und die Reichweite kognitiver Kompetenzen.

 

Themen

Im Laufe der Ermittlung wird die Information ausgegraben, dass das weibliche Opfer im Tatort Limousine durch exhibitionistische Handlungen aufgefallen ist;

Exhibitionismus könnte ein Indikator auf Schizophrenie und Missbrauch in jungen Jahren sein.

Nebenbei erzählt der Psychologe der Geschichte Alex Delaware, dass Menschen, die in der Kindheit missbraucht wurden im späteren Leben Ereignisse verschachteln.

Hinzukommt, dass Alex dieser Gruppe Menschen angehört, ein überraschendes Geständnis zwischen den Zeilen, für Leser, die es noch nicht gewusst haben.

Wie eine kleine Polizeigruppe (unter 10 Personen) sich organisiert

und Möglichkeiten untersucht, Verdächtige in einem Mordfall unbemerkt einzukreisen, um sie festzunehmen auf einer Straße ohne Parkmöglichkeiten mit viel Publikumsverkehr ist genauso Bestandteil dieses Kriminalromans wie die Erkennung traumatisierter Polizisten und das beidseitige Bedürfnis sie betreuen zu müssen.

Die Arbeit der Polizei an einem phänomenalen Fall mit medialem Echo unterscheidet sich von dem in verschiedenen Medien präsentierten Bild, so im Buch. Die Wahrheit trennt Ermittler und Gerüchteküche, die Kluft zwischen Wahrnehmungswelten nähme spektakuläre Ausmaße.

Manipulation, Unbarmherzigkeit und Machtlust in ihren nicht-verbalen und verbalen Formen werden im Kontext mit der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Massenmorde verbunden (Jonathan Kellerman, The Museum of Desire, S. 76).

Kunst kopieren als Element eines Verbrechens?

Nach der Entdeckung des Gemäldes „The Museum of Desire“ als das Modell für den mehrfachen Mord konzentriert sich die Suche auf einen Täter, der durch Voyeurismus, narzisstischen Sadismus und Exhibitionismus auffallen müsste.

Groteske in der Fake-Oberschicht. Deplatzierter Luxus. Übertreibung und Überschreitung im Tod. Distanzierte Überraschung über Opfer und die Suche im Trüben nach dem Motiv. Der Fokus liegt auf der Kunst: wie man sie imitiert, wie man sie kopiert, wie man sie reproduziert. Die Dissonanz ist die Gemeinsamkeit, und Kunsthistoriker würden die Ähnlichkeiten zwischen Tatort und Gemälde erkennen.

 

FAZIT The Museum of Desire Jonathan Kellerman

Eine klassische Polizeiermittlung eines abweichenden Falls entpuppt sich als ein Exkurs in die Anfänge der Renaissance und den Schlüssel zum Plot. Es ist ein wenig bekanntes Bild mit provokanter Symbolik, das Täter missbrauchen und in Hollywood-Nähe verschieben. Gefühle sind hier schwer zu identifizieren.

Effekte ersetzen Affekte. Emotionen haben keinen Platz in diesem Szenario. Die Gefühlsarmut ist fast greifbar und betont umso mehr die Unbegreiflichkeit der Taten. Die Suche nach der Logik des Motivs ist beinah chimärisch. Täter bleiben Täter vor und nach und vor der Tat.

 

TEXTAUSZUG

Etwas ist faul im Hause Bel Air. Fremde Opfer im falschen Tatort. Und eine Polizei, die auf alles vorbereitet ist, nur nicht auf die omnipräsente Öffentlichkeit, vor der sich skrupellose Täter nicht fürchten.

 

KATEGORIEN

Kunst

Länder Städte

Psycho

Whodunnit

 

Tatorte

Die Nachbarschaften mit ihren Vorzeigespots sind Haupt- und Nebentatorte und drapieren die Handlung; deren Stränge scheinen Teil eines Events zu sein, Effekte ohne sichtbaren Affekt. Die weniger sonnigen Gegenden der Stadt treffen auf Make-Believe-Glamour.

Ascot Lane

in der Nähe des Benedict Canyon, Bel Air, der Tatort, befindet sich außerhalb der Grenzen zu Beverly Hills und ist damit außerhalb des Einzugsbereichs der Beverly Hills Polizei.

 

Canon Drive

und Santa Monica, Beverly Hills, dort werden die Verdächtigen verfolgt, während sie sich ein Restaurant aussuchen und Milos die zuständige Polizeistelle informiert, dass sie eine Verhaftung vornehmen werden.

 

Reiseziele

Nicht nur die Charaktere und die Ereignisse verleihen einem Ort Atmosphäre, sondern auch das Straßennetz.

Olympic,

dort befindet sich die Wohnung von Solomon Roget, Fahrer der Limousine und Opfer.

 

Skaggs Avenue,

dort befindet sich das Casa Clara Adult Residential Care, in dem Benny Alvarez, Opfer, lebte.

 

Little Holmby, Conrock,

dort lebt die Zeugin Candace Kierstead.

 

Olympic, San Vicente, La Brea,

Venice Boulevard, Western, Jefferson: die Route zum karibischen Supermarkt, um nach den Aushängen von Solomon Roget zu sehen und die Leute zu befragen.