Der Heiler von Solingen | Stefan Barz

BUCHCOVER
Der Heiler von Solingen Eine Brücke in Solingen? Wuppertal? Oder Remscheid? Die Grenzen verwischen, Orientierung bedient sich des Wissens um Orte.
Abgebildet ist die Müngstener Brücke, ehemals Kaiser-Wilhelm-Brücke, zwischen Remscheid, Solingen und Wuppertal, 107 hoch.
Städte spielen in diesem Buch eine scheinbar untergeordnete Rolle: von Remscheid bis Wuppertal, von Solingen bis Remscheid. Denn die Geschichte, um die es geht, sie handelt von einer der vielen Sonderbehandlungen, im Rahmen der Kriegsendphasenverbrechen, im April des Jahres 1945 kurz vor Kriegsende, und sie hat überregionale Bedeutung. Die Sonderbehandlungen hätten auch woanders passieren können und sind an vielen Orten Deutschlands, insgesamt 410 Mal, dokumentiert. Das Massaker von Wenzelnberg bei Langenfeld (lese Nachwort) ist Fakt in der frei erfundenen Handlung und macht auch deswegen den Kriminalroman lesenswert. Auch die namhaften Wunderheiler, die nach Kriegsende Massen anzogen, hat es schon gegeben. (lese Nachwort).
Die Infos zum Buch
Autor: | Stefan Barz |
Verlag: | KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH |
Übersetzung: | ./. |
Erschienen: | Oktober 2024 |
Umfang: | 290 Seiten |
Preis: | €13,00 (de) |
ISBN: | 978-3-95441-703-2 |
ZIELGRUPPE
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg suchen die Menschen Ablenkung einerseits, Vergebung für ihre Schuld andererseits. Die Geschichte um den Heiler von Solingen erzählt von einem Pastor und ehemaligem Unternehmer, der Wunder vollzubringen weiß und es dadurch zur lokalen Berühmtheit bringt. Ihn suchen auch Menschen auf, die vom Krieg traumatisiert sind, die ihre Vergangenheit lieber vergessen wollen und doch nicht vergessen können. Es wird an ein lokal vielleicht nicht ganz vergessenes Kapitel deutscher Geschichte mit den Mitteln der Fiktion erinnert, in der Zeit als schnelle Aufklärung groß geschrieben war und Verdrängung den Alltag wiederherzustellen suchte.
Kiki’s Rezension: Der Heiler von Solingen
EINLEITUNG
Die Geschichte beginnt im April 1945, als ein Sondertransport mit Gefangenen aus der Haftanstalt von Lüttringhausen und anderen Haftanstalten, darunter politische Häftlinge und Häftlinge aus anderen Ländern sein Ziel erreicht (Lüttringhausen ist heute ein Stadtteil von Remscheid). Kurz nach Ende der Sonderbehandlung ist als wäre nichts gewesen und die Lastkraftwagen fahren zurück nach Lüttringhausen. Ein Soldat fährt mit. Kurz hinter Solingen in der Nähe der Müngstener Brücke, die Solingen mit Remscheid verbindet, fällt ein Schuss.
INHALTSANGABE
Der Heiler von Solingen
1950. Ben Laddach ist seit einem Bombenangriff auf Solingen vor fünf Jahren, als der Zweite Weltkrieg noch nicht zu Ende war, erblindet. Bei dem Bombenangriff hat er seine Eltern und sein Augenlicht verloren. Inzwischen wohnhaft in Ronsdorf (heute Stadtteil von Wuppertal) verdient er tagsüber seinen Lebensunterhalt mit Besenbinden in einer Behindertenwerkstatt. In der Nacht hat er Albträume. Seine Schwester Iris kümmert sich um ihn und schlägt einen Besuch beim Heiler von Solingen vor. Pastor Magnus Eisenlaub, ehemaliger Unternehmer einer Rasierklingenfabrik, bereitet sich auf den nächsten Gottesdienst in einer Güterhalle vor, bei dem er wie gewohnt die Sünden wird versuchen auszutreiben, um Menschen von ihren Gebrechen zu erlösen.
Die Journalistin
Die 21jährige Edith Hartkop, angehende Journalistin, sucht eine neue Geschichte, die ihren Verbleib in der Redaktion der Regionalzeitung im Bergischen Städtedreieck (Solingen, Remscheid, Wuppertal) sichern wird. Die junge Frau empört sich über die Feierlaune der Deutschen fünf Jahre nach dem Krieg und hat sich bei ihrem Chef zu behaupten, der nicht nur übergriffig wird, sondern Edith sogar ein Ultimatum stellt, wie eine Reportage zu schreiben ist. Faktenrecherche, am liebsten gestern. Als sie von dem heilenden Pastor hört, entscheidet sie sich den Gottesdienst zu besuchen, um sich ein Bild von der Gemeinde und dem Prediger zu machen, der glaubt Menschen von Krankheiten heilen zu können, indem er ihnen hilft, zu ihrem Glauben zurück zu finden. Edith entschließt sich, dem Hokuspokus auf den Grund zu gehen, eine Festanstellung zu bekommen und aus der Wohnung ihrer Eltern auszuziehen. Sie selbst ist Opfer häuslicher Gewalt, denn ihr Vater schlägt und misshandelt sie. Als Edith bei der Heilung des blinden Ben Laddach durch Pastor Magnus Eichenlaub zusieht, entscheidet sie sich mehr über den geheilten Blinden zu erfahren und das sicherlich abgesprochene Spiel zwischen Heiler und Geheiltem zu entlarven.
Der Wehrmachtsveteran
Ben Laddach hat ein Geheimnis, das er niemandem erzählt hat, aus der Zeit, als er noch bei der Wehrmacht war. Eines Abends kann er nicht schlafen und macht einen Spaziergang. Jemand stößt ihn auf die Straße, beinah kommt er unter die Räder um. Kann er sich von seinem schlechten Gewissen, von seinem Wissen um seine Tat, die in Kriegstagen passierte, befreien, indem er den Wunderprediger Magnus Eichenlaub um Hilfe bittet? Er fühlt sich verfolgt, jemand trachtet ihm nach dem Leben. Denn Ben war nicht nur als Fahrer der Gefangenen am Massaker von Wenzelnberg beteiligt, sondern ist verantwortlich für den Tod eines Menschen, eine Tat, die kurz nach dem Massaker auf der Fahrt zurück passierte. Wer könnte wissen, was sich zugetragen hat?
Der Wunderheiler
Magnus Eichenlaub, eine für die Geschichte erfundene Buchfigur, erinnert an die Welle von Wunderheilern, die es nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gegeben hat, an die Menschen, die glaubten, geholfen worden zu sein. Der Prediger ist fest davon überzeugt, dass es der Wille Gottes ist, Menschen gesund zu machen. Er glaubt die Anwesenheit des Göttlichen zu spüren, glaubt im Recht zu sein, auch nach seiner Verhaftung. Unerschütterlich und rigide lebt er nach seinem Weltbild.
INHALTSANALYSE & CHARAKTERISIERUNG
Der moralische Zeigefinger geistert durch die Geschichte. Ist er zeitgemäß? In den fünfziger Jahren? Wäre er unverzichtbar oder hat er seine Wirkung eingebüßt? Weil andere Dinge wichtiger geworden sind?
Ist Ben Laddach ein Täter? Wie wird ihm geholfen, mit dem Trauma zurechtzukommen, auf das seine Blindheit zurückzuführen ist?
Glaube, Heilung, Aufklärung
Das Versprechen von Magnus Eichenlaub, die Mitglieder seiner Gemeinde von ihren Schmerzen zu befreien, indem er ihnen hilft, ihre Sünden abzustreifen, gleicht einem Betrug und Edith ist drauf und dran, die Leser:innen ihrer Zeitung aufzuklären. Wie kann Edith Hartkop die Abonnent:innen der Zeitung, für die sie arbeitet, erreichen ohne sie zu verprellen? Weniger mit dem erhobenen Zeigefinger, mehr mit Fakten und Beweisen, sofern möglich und machbar. Sündenfrei, schmerzfrei, gesund?
Frau, Opfer von häuslicher Gewalt in den fünfziger Jahren
Edith ist auf einer Gratwanderung zwischen Richtig und Falsch, im Beruf bezieht sie spontan Stellung dazu, indem sie ihre Meinung ohne Umschweife kundtut, im Privaten sieht sie sich machtlos vor den Übergriffen ihres alkoholisierten Vaters, nicht zuletzt weil sie noch nicht das nötige Kleingeld hat, um selbständig zu werden. Männer, die in patriarchalischen Strukturen gefangen sind, machen ihr auch im Beruf Schwierigkeiten, zum Beispiel ihr Chef, die finanzielle Unabhängigkeit wird der Weg aus der Misere sein. Ihre Hartnäckigkeit zahlt sich aus, als sie die Geschichte des geheilten Ben Laddach erfährt, der als einzelner Mensch in eine kollektive Schuld verstrickt, erblindete, seine Sünde und Abkehr von Gott erkannte und schließlich sein Augenlicht wiedererlangte.
Der Heiler von Solingen
FAZIT
Viele Menschen wurden im Nationalsozialismus Täter und blieben straffrei. Das Wissen um die Tat war ihre persönliche Abrechnung mit ihren eigenen Abgründen. Sie nannten es ihre Pflicht, das zu tun, was ihnen befohlen wurde. Oft als Fußvolk. Nur der Heiler von Solingen vermag in diesem historischen Kriminalroman Abbitte zu leisten. Als wäre Gebet ein Freispruch und Gewissen ein Mantel, von dem man sich einfach trennen könnte. Und Heilung durch Glauben möglich.
Das Massaker am Wenzelnberg soll exemplarisch an 410 dokumentierte nationalsozialistische Verbrechen der Endphase (vor der deutschen Kapitulation) erinnern, zu denen Gerichtsurteile in den Nachkriegsjahren gesprochen wurden. Doch nicht alle Beteiligten müssten eine Strafe verbüßen. So wurde ein Kriminalpolizist, dessen aktive Beteiligung am Wenzelnberg-Massaker historisch nachgewiesen ist, nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Leiter des Landeskriminalakts Nordrhein-Westfalens befördert (lese Nachwort „Der Heiler von Solingen“). Darüber wurde in der Öffentlichkeit kaum gesprochen, obwohl es ganz in der Nähe stattgefunden hatte.
Ort der Handlung: Müngstener Brücke, zwischen Remscheid, Solingen und Wuppertal, Nordrhein-Westfalen
Solingen
Magnus Eichenlaub ist der Heiler von Solingen und hat jedes Mal etwa 300 faszinierte Zuhörer:innen, erst in einem Kinosaal, später in einer Güterhalle.
Ronsdorfer Straße, Ronsdorf, Stadtteil von Wuppertal
Die Journalistin Edith Hartkop folgt dem geheilten Blinden Ben Laddach, um mehr über ihn zu erfahren. Der Weg führt an von Krieg verschonte Fachwerkschieferhäuser und Neubauten entlang.
Hausarztpraxis, Ronsdorf
Edith besucht ihren Hausarzt, den sie seit der Kindheit kennt. Er verarztet ihre Blessuren, akzeptiert ihre Erklärung, sie sei gestürzt und unterhält sich mit ihr über organische und psychogene Erblindung.
Lüttringhausen, Stadtteil von Remscheid
Nicht weit von Ronsdorf entfernt liegt die Haftanstalt Lüttringhausen. Dort hört Edith von dem ehemaligen Polizisten Ben Laddach und dem Sondertransport, an dem er 1945 beteiligt war.