Bird | Adam Morris
BUCHCOVER
Bird
Räume in desolatem Zustand. Menschenleer. Betreten nur nach Befolgen der Regeln gestattet. Der Empfangsraum eines Gefängnisses. Die Überreste einer U-Haft in einem anderen Land. Ein Unterrichtsentwurf auf dem Boden. Waffen zum Greifen nah. Provisorisch oder heruntergewirtschaftet. Renovierungsbedürftig. Mit der heißen Nadel gestrickt. Nicht besonders vertrauenserweckend. Für Besucher:innen, Gefangene, Personal. Ein Alltag ohne Perspektive. Chancen und Rechte für Angehörige von Minderheiten werden in diesen Räumen nicht groß geschrieben. Die Frage nach der Freiheit im Drinnen und im Draußen eines Gefängnisses ist das Thema.
Die Infos zum Buch
Autor: | Adam Morris |
Verlag: | Edition Nautilus GmbH |
Übersetzung: | Conny Lösch |
Erschienen: | März 2024 |
Umfang: | 272 Seiten |
Preis: | €20,00 (de) |
ISBN: | 978-3-96054-340-4 |
ZIELGRUPPE
Ein Gefängnisroman, der die Wege des Protagonisten Carson drinnen, im Gefängnis, draußen, in Freiheit, wenn er nicht sitzt und zurück in die Zelle, wenn er wieder in den Bau zurückkehrt. Ein Kreislauf der Gewalt in einer meist weißen Gesellschaft ehemaliger Siedler, die rassistisch geprägt ist, in der Noongar – indigene Australier:innen – wie Carson ein kurzes, unglückliches Leben haben oder in den australischen Strafanstalten herunterkommen.
Kiki’s Rezension: Bird
EINLEITUNG
Die aussichtslose Lage des Protagonisten ist der Mittelpunkt dieses Kriminalromans. Wie der Vogel Chikininni in der Fabel, die dem Roman vorangestellt wird, von unzähligen seiner Art verfolgt wird, kommt Carson von den Folgen seiner Entscheidungen, Taten und vor allem Straftaten nicht los. Wenn er draußen in Freiheit ist, scheinen sich die Übel zu vervielfachen und wie ein Schwarm pechbringender Erinyen ihn ins Gefängnis zurück zu rufen, nonstop zurück in die Gefangenschaft zu fliegen.
INHALTSANGABE
Bird
Immer wieder landet Carson im Gefängnis, wegen Drogengeschichten oder wegen einer Schlägerei oder weil er nicht ganz legal in Besitz eines Autos gekommen ist. Der Roman folgt dem jungen Noongar auf seinen unzähligen Wegen im Gefängnis, auf seinen kurzen Aufenthalten in Freiheit und wieder zurück in die Zelle. Die Menschen, die er unterwegs trifft, halten ihn für intelligent wie der Kunstlehrer im Gefängnis oder wollen ihn bemuttern wie die Psychologin der Institution oder sind vor allem an den schmuddeligen Details seiner Erzählungen interessiert wie sein Bewährungshelfer. Wenn Carson es mal schafft, den Knast zu verlassen, gerät er unverzüglich auf die schiefe Bahn, auf direktem Weg zurück in die Strafanstalt.
INHALTSANALYSE & CHARAKTERISIERUNG
Carsons Geschichte wird dabei nicht von ihm selbst, sondern aus den wechselnden Perspektiven der (zumeist weißen) Menschen erzählt, die ihn umgeben. Ihr Blick, sei er anerkennend oder gleichgültig, bewundernd oder herablassend, ist stets desillusioniert, obwohl sie sich dieser Lebensmüdigkeit nicht bewusst sind. Alle diese Menschen sind nicht nachhaltig an Carson interessiert, weil sie ihre eigenen Geschichten mit sich rumtragen. Sie sind sozusagen egoistisch. Außerdem wissen die engagierteren von ihnen, dass sie nicht wirklich würden helfen können. Es ist eine realistische Betrachtung der Situation.
Die Insassen des Gefängnisses schienen rettungslos irre zu sein, bewaffnet nur mit einem unerbittlichen Hang zur Selbstzerstörung und der unantastbaren Entschlossenheit, ihr kleines aus dem Ruder gelaufenes Leben bis an sein trauriges Ende fortzusetzen.
(Seite 93)
Auswege gesperrt
Es ist die Wahrnehmung dieses Umfelds, die den jungen Noongar Carson als komplexen Charakter zeichnet, der einem nahekommt und zugleich auf Distanz bleibt – und der längst zum Spielball eines Systems geworden ist, das ihm keine echte Handlungsmacht zugesteht. Seine Haltung reflektiert die ausweglose Situation und lässt ihn Impulse verkörpern, von der Gesellschaft projizierte Triebe, die Noongars eigen sein müssten, weil sie der Ruf die ärmsten der Armen zu sein begleitet. Es macht den Eindruck eines vorgezeichneten Wegs ohne Hoffnung auf Zukunft. Carson bekleidet eine bis mehreren Rollen, die er übernimmt, obwohl er weiß, dass es Rollen sind.
Das bestrafende System
Carson besitzt eine Stimme, mit der er seinen Standpunkt vertreten kann, doch sie geht in die diskriminierenden Strukturen der Strafanstalt, unter. Die Justiz konzentriert sich auf ein Bestrafungssystem mit dem Versprechen der Integration des straffällig gewordenen Insassen in Gesprächen ohne Lösungsansätze miteinzubeziehen. Carson ist groß, intelligent, willensstark, dabei ist ihm die fehlende Perspektive seiner Situation bewusst, doch er scheint keine anderen Handlungsmöglichkeiten zu haben, als die vom System vorgesehenen.
Carson wird großes Potential bescheinigt und Hoffnungen werden in ihn gesetzt, denn er ist nicht wie die anderen Gefangenen, die Vollidioten sind, weil sie nichts gelernt haben.
Der Noongar Aborigine
Carson sieht sich mit einer Leere wie auf dem Titelbild konfrontiert, die ihn nicht voran bringt. Trotz seines Potentials entkommt er den Erwartungen der rassistisch geprägten Gesellschaft nicht. Mit einer Ausnahme. Selbstständiges Handeln wird erstaunlicherweise nur in Straftaten sichtbar. Das ist jedoch keine echte Ausnahme, sondern eine Bestätigung der Erwartungen an den Noongar Aborigine. Carsons verbale und physische Präsenz gleicht einer Regenwolke, einem Fluch oder einem Damoklesschwert, je nach Perspektive und Betrachtung, die über ihn hängen.
Carsons Bild ist das Ergebnis fremder Perzeptionen. Es ist eine Frage der Perspektive, indem sein Profil aus dem Bild entsteht die andere von ihm haben. Sein Leben wird mit den Augen anderer erzählt, situativ. Auf jeden Fall bleibt es eine Momentaufnahme und Carson der große Unbekannte.
Bird
FAZIT
„Bird“ spiegelt im Mikrokosmos des Gefängnissystems die Realität einer noch immer zutiefst segregierten, rassistischen Gesellschaft, in der Freiheit nicht für alle vorgesehen ist.
Ein Kreislauf der Gewalt, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint, umgibt Carson auf seinem Weg zwischen drinnen und draußen, einem Vogel gleich, der verlernt hat, wie es ist, den Käfig zu verlassen und in Freiheit zu fliegen, zu leben und zu überleben ohne in den Käfig zurückfliegen zu wollen, ohne rückfällig zu werden.
„Bird“ ist die Geschichte über das Böse im Menschen und sein Unvermögen, sich davon zu befreien. Und gleichzeitig ist der Roman die Geschichte über ein in die Jahre gekommenes Strafvollzugssystem, das fern von Prävention sich primär der Therapierung zugeschrieben hat und vergeblich einen Ausweg sucht.
Ein Weg hin und zurück, von der Freiheit in die Haft, von der Haft in die Freiheit. Genauer betrachtet, ist es die Illusion, die Freiheit erleben zu können. Der Weg Carsons ist somit eine Sackgasse. Eine Lobby fehlt ihm und das Personal des Gefängnisses braucht eine Generalüberholung.
Ort der Handlung: Ein Gefängnis in Australien
Kunstraum
Carsons Bild von einem Emu interessiert nicht nur Lehrer Daniel sondern auch die anderen Gefangenen.
Kontrollraum
Der Strom wird abgestellt. Versorgung über die Notstromgeneratoren. Die Haupteingänge zum Trakt werden noch mit Strom versorgt.
Verwaltung
Der Beamte vertreibt sich die Zeit mit Glücksspiel und Online-Auktionen.
Computerraum
Der Kunstlehrer soll den IT-Unterricht übernehmen, weil der IT-Lehrer nicht gekommen ist.