Die eisblaue Spur | Yrsa Sigurðardóttir
BUCHCOVER
Die eisblaue Spur Wo Eisbären und Schlittenhunde zu Hause sind. Spuren im Schnee und ein geheimnisvolles Symbol. Grenzen zwischen Eis und Wasser, Land und Eis. Die Suche nach Helligkeit manifestiert sich schon beim Zusammenspiel zwischen den Farbtönen. Das Eis bedeckt den kleineren Teil der Cover-Geographie, als wäre es schon beim Erscheinen des Buchs am Schmelzen. Tiefer Schnee trifft darin auf tiefes Wasser.
Die Infos zum Buch
Altersempfehlung: 16+
Autorin: | Yrsa Sigurðardóttir |
Verlag: | S. Fischer Verlag GmbH/Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH |
Übersetzung: | Tina Flecken |
Erschienen: | 2010 |
Umfang: | 339 Seiten |
Preis: | € 8,95(de) |
ISBN: | 978-3-596-18343-2 |
ZIELGRUPPE
Molybdän
Ein Forschungsteam, das die Möglichkeiten der Gewinnung von Molybdän untersuchen soll, gerät in eine prekäre Lage, als einige seiner Mitglieder auf Grönland verschwinden, wo die Überlebenschancen gering sind. Die Situation verkompliziert sich durch das Einschreiten des Jägers der Siedlung, die in der Nähe des Forschungscamps liegt. Glaube und Aberglaube über die Bedeutung des Ausgrabungsortes und die Haltung der Einheimischen gegenüber uralten, religiösen und ethischen Vorstellungen innerhalb ihrer sich verändernden Gesellschaft sowie gegenüber äußerlichen Einflüssen sind mit finanziellen Erwägungen vermengt.
Kiki’s Rezension: Die eisblaue Spur
EINLEITUNG
Die Hauptfigur der Dóra erscheint zum vierten Mal in dieser Krimireihe und trifft auf einen ebenso starken Charakter, der das Überleben seiner Kultur und ihrer Rituale an erste Stelle stellt. Die nonverbale Kommunikation zwischen Mensch und Hund spielt im Buch eine große Rolle. So auch das Überleben ohne Kenntnisse der Landschaft und des sich in kurzen Abständen verändernden Wetters, das Flexibilität erfordert.
INHALTSANGABE
Die eisblaue Spur
Entlegener Forschungscamp auf Ostgrönland
Eine kleine auf geologische Forschungen und damit verbundene Wirtschaftlichkeitseinschätzungen vor allem auf dem Gebiet der Erdwärme spezialisierte Firma übernimmt ein Projekt in Grönland.
Molybdän wird in Grönland abgebaut.
Oktober 2007: Die Geologin Oddný Hildur ist allein im Labor. Sie versucht ihre Ängste zu vergessen, während sie mit ihrem Mann ein Ferngespräch führen will, aber ihre Müdigkeit spielt ihr einen Strich durch die Rechnung. Oddný glaubt einen Schlittenhund draußen im Hof zu sehen, der sie anstarrt, und entscheidet sich, den abermaligen Wetterumschwung zu ignorieren und das Labor zu verlassen, um schlafen zu gehen. Sie zieht die erstbesten warmen Sachen an, die sie am Eingang findet und geht hinaus in die eisige Kälte.
Das Bergbauunternehmen
März 2008: Zwei isländische Arbeiter eines Bergbauunternehmens sind verschwunden.
Die Firma macht Testbohrungen und Baumaßnahmen für die Gewinnung von Bodenschätzen im Auftrag eines britischen Bergbaukonzerns.
Dóra Guðmundsdóttir, Anwältin aus Reykjavik, reist im Auftrag der Bank, die für das Vorhaben der Bergbaufirma, Molybdän gewinnen zu wollen, bürgt, ins eisige Grönland, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ihr Freund Matthias Reich begleitet sie.
Isländisch und Dänisch wird neben Grönländisch auf Grönland gesprochen. Die Buchfiguren Dóra und Matthias sprechen Deutsch miteinander, denn Matthias Isländisch ist noch rudimentär.
Die Garantie
Das Bauunternehmen ist weit hinter dem Zeitplan. Der britische Bergbaukonzern, mit dem sie einen Werkvertrag geschlossen haben, will die Garantie in Anspruch nehmen, was die Folge hätte, dass die verbürgende Bank zahlen muss. Die Baufirma wird die Verzögerung kaum aufholen können, zumal ihnen auch Kapazitäten weggebrochen sind. Die Mitarbeiter und Kollegen der verschwundenen Forscher weigern sich, an ihren Einsatzort zurückzukehren, und die Arbeit ist so spezialisiert, dass man auf die Schnelle keine Ersatzleute bekommt.
Die Ausrüstung des Bauunternehmens musste gesichtet und der Stand der Probebohrungen beurteilt werden, damit die Bank gegebenenfalls eine andere Firma einschalten oder die Mitarbeiter davon überzeugen konnte, ins Camp zurückzufahren.
Die Firma hofft auf Fortsetzung des Projekts im nächsten Sommer mit neuen Mitarbeitern, dem Bau einer Landebahn und neuen Gebäuden.
Der verbotene Ort
Warum verhalten sich die Einheimischen so ungewöhnlich feindselig? Ist das Video, das Dóra in der Kanzlei vor ihrer Einreise sieht, die Verfilmung einer Straftat? Offenbar ermittelt die Anwältin an einem verbotenen, heiligen Ort. Als sie bei einem heftigen Schneesturm im Camp festsitzt, entdeckt sie alte Kultgegenstände und menschliche Knochen. Nach dem Sturm macht das Team um Dóra und Matthias einen noch viel grausigeren Fund und benachrichtigt endlich deswegen die grönländische Polizei, die in isländischen Kreisen des Buchs keinen guten Ruf geniesst. Der Jäger des Ortes verfolgt sie auf Schritt und Tritt. Er weiß viel mehr über die Ereignisse als andere, ist jedoch nicht bereit darüber zu erzählen.
INHALTSANALYSE & CHARAKTERISIERUNG
Der erste Eindruck nach der Ankunft
Das Camp ist menschenleer, aber in jeder Ecke gab es menschliche Spuren. Der erste Eindruck nach der Ankunft ist Leere und Beklommenheit über diejenigen, die nicht mehr zurückkehren werden.
Das Wetter
Die Atmosphäre auf diesem entlegenen Flecken Erde hat die Hauptrolle in diesem Krimi, die größtenteils vom Wetter definiert wird, das die Entscheidungen und Bewegungen der Buchfiguren entscheidend beeinflusst. Das Forschungsteam zerfällt in seinen Bestandteilen, das sind die einzelnen Personen, und ihre Abwesenheit erschwert die Rekonstruktion der Geschehnisse.
Die kurze Zeitspanne
Doch der Überraschungseffekt ist die kurze Zeitspanne, die das Untersuchungsteam benötigt, um die Vermissten zu finden. Nicht länger als 6 Tage, bei abgebrochener Netzverbindung, ohne Option abzureisen falls nötig wegen des instabilen Wetters, zusätzlich belastet durch den Verzicht auf viele Annehmlichkeiten des täglichen Lebens. Die Einsamkeit des Schauplatzes lässt keine lebende Seele in der Nähe des Camps mit Ausnahme der Dorfbewohner und der Schlittenhunde, mal abgesehen von den wilden Tieren, die in dieser Region zu Hause sind.
Das Untersuchungsteam
Ein erfahrener Rettungsmann, ein IT-Spezialist, ein Arzt, eine Geologin und ehemalige Mitarbeiterin des Bauunternehmens, die sich vor Ort auskennt, eine Sachbearbeiterin, eine Rechtsanwältin, die meistens Scheidungsfälle betreut und Teilungserklärungen entwirft sowie ein ehemaliger Kriminalkommissar aus Deutschland, der die Sicherheitsabteilung einer isländischen Bank leitet, reisen nach Grönland. Erst im Laufe der Ermittlungen, die mit der Entdeckung einer Eisleiche die Polizei alarmiert, wird Konsens erzielt. Das Puzzle zusammenzusetzen wird eine Herausforderung. Persönliche Erfahrungen sind ein wichtiger Bestandteil des Tatmotivs, doch ihre Unsichtbarkeit bremst die Untersuchung.
Der Vertrag
Dóra liest im Vertrag, dass England als Gerichtsstand festgelegt ist und sieht sich in ihrer Annahme bestätigt, dass die Bank sie nach der Grönlandreise bis auf die Nachbearbeitung nicht mehr brauchen wird. Nüchtern, anpassungsfähig und flexibel geht sie das Problem an.
Dóra ist realistisch, sie erwartet zum Beispiel nicht, dass die Bank mehr als dieses eine Mal ihre Dienste beanspruchen wird, und sie geht nicht davon aus, dass die Bergmänner und die vermisste Geologin die widrigen Lebensverhältnisse überlebt haben.
Die Vermisste
Oddný: sie ist fest davon überzeugt, dass Einbildungen der Grund für ihre Ängste sind. Verfolgungsängste. Ihr Verhältnis zu Tieren wird von Distanz bis Furcht geprägt. Sie ist alleine in dem Gebäude und fühlt sich hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen im Hell und Dunkeln, im Hinaus des dunklen Schneegestöbers einerseits und ihrer Liebe für eindeutige Fakten andererseits. Für die Dramaturgie ist ihr Bedürfnis für Wärme und Trockenheit wichtig, weil es ihre Entscheidung, im Vorraum des Labors die wärmste und trockenste Jacke, Schal, Handschuhe, Stiefel und Pelzmütze anzuziehen, bestimmt.
Die Juristin
Dóra: Sie bekommt den Auftrag, den Forschungscamp zu besuchen mit dem Ziel, das Forschungsteam zur Wiederaufnahme der Arbeiten zu bewegen. Ein kurzer Clip von etwas länger als drei Minuten ist ausschlaggebend für ihre Entscheidung. Dabei versucht sie nicht so viel hineinzuinterpretieren, während eine Körperverletzung, wenn nicht schlimmeres, gefilmt wird. Währenddessen wird sie einsehen müssen, dass sie die Kommunikationskanäle der Dorfbewohner in Anspruch nimmt, weil die Verbindung im Camp schlecht ist. Die Arbeit im angereisten Untersuchungsteam ist erstaunlicherweise bis auf einige Anlaufschwierigkeiten gut, weil jede(r) Expertise und Erfahrung in seinem Bereich mitbringt. Persönliches ist hier peripher, darunter Sympathien und Antipathien, so auch die Beziehung Dóras zu Matthias, die die Suche nach den verschollenen Bergmännern und der verschwundenen Frau nicht behindert. Beide sind Profis und werden oft um Hilfe gebeten.
Die Freundin
Friðrikka: Die Geologin ist enge Freundin von Oddný und hofft, sie lebend anzutreffen. Ihre Nervosität verwandelt sie in einen menschlichen Wrack, der Unterstützung braucht, vor allem von Dóra. Obwohl sie schon einmal im Camp war, ist sie keine große Hilfe bei der Suche nach den Verschwundenen und bei der Klärung der Gründe für ihre Abwesenheit.
Das Mobbingopfer
Arnar: Der Ingenieur ist beim Forschungsteam dabei und wird Opfer von Mobbing wegen seiner sexuellen Präferenzen und weil die Anstifter sich in der Abgeschiedenheit langweilen. Er verlässt das Team und lässt sich in eine Entzugsklinik einweisen. Seinen verbalen Äußerungen zu entnehmen könnte er suizidal sein. Seine Rolle in den Geschehnissen ist der Schlüssel zur Aufklärung des Falls.
Die Lebensgefährtin
Oqqapia: Sie ist die Lebensgefährtin von Naruana, dem Sohn des Jägers Igimaq. Opfer von Hausgewalt und Alkoholikerin. Ihr Kontakt zu Dóra ist instinktiv. Ihre Einstellung zur Veränderung im Dorf nach dem Einreisen des Forschungsteams ist geprägt von Pragmatismus. Um so mehr bleibt mit dieser Buchfigur eine Wiederholung der Ansichten von Autoritätspersonen eng verzahnt wie der Jäger Igimaq eine ist. Oqqapia bleibt bei Igimaq auf Distanz, nichtsdestotrotz kopiert sie gelegentlich sein Verhalten.
Der Jäger
Ehre und Respekt vor den Ahnen und den Toten, die Pflege des kollektiven Gedächtnisses, das mit der Gründung des Ortes zusammenhängt, dominiert sein Auftreten. Einzelgänger mit profunden Survival-Kenntnissen.
Die eisblaue Spur
FAZIT
Ein Bergbauprojekt stößt auf Protest bei den Einwohnern, die den Ort mit bösen Kräften verbinden. Erst später erfährt man, dass Ausgrabungen nötig wären, weil der Ort eine Geschichte hat, und sie muss erzählt werden, um zu verstehen: Wanderungen, Geburtenraten, Berufsbilder, Demographie, Familienbildung, Auswanderung und Epidemien, Sprache. Die Kluft zwischen Naturgewalten, Wissenslücken und Sprachbarrieren ist hautnah zu spüren.
Ein Krimi, das seinen Schauplatz von dem als heruntergekommen beschriebenen Flughafen in Reykjavik auf die spärlicher besiedelte Ostseite Grönlands platziert.
Ort der Handlung: Grönland
Anflug auf Grönland
Schneebedeckt, bis auf ein paar steile Berghänge und einen dünnen Küstenstreifen, wo die Brandung den Schnee geschmolzen hatte. Überall waren Eisschollen, so dass man den Eindruck hatte das Land würde zerbröckeln und aufs Meer hinaustreiben.
Nuuk
Dorthin wird die tote Frau gebracht, um obduziert zu werden. Das Mädchen aus dem Dorf Kaanneq mit dem entstellten Gesicht soll in Nuuk operiert werden.
Kulusuk
Das Untersuchungsteam mit Dóra und Matthias fliegt mit Air Iceland nach Kulusuk, wo ein Hubschrauber sie weiter nach Norden bringt, zu dem kleinen Dorf in der Nähe des Camps.
Kaanneq
Abseits der Touristenpfade. Keine Straßenverbindung zu anderen Ortschaften. Per Schiff oder Hubschrauber erreichbar je nach Jahreszeit. Auf den steilen Klippen rund um eine eisbedeckte Bucht stehen bunte Holzhäuser. Der Name des Ortes ist wahrscheinlich fiktiv.