OSKAR | Max Bronski

BUCHCOVER

OSKAR Stille. Bis auf die Vögel, die über einen kreisen. Es ist ein unheimliches Schweigen beim Wahrnehmen des Menschen, der vor uns liegt. Als Kopf und Oberkörper. In Perspektive. Auf einem Tisch. In einer Schale. Oder in einem Becken. Bereit für die letzte Reise, die das Thema des Kriminalromans ist. Das Drumherum ist gegenständlich. Der Rest ist eine Einladung zur Assoziation. Der Hintergrund ist eine Stadt. Im Vordergrund ist die Grenze. Zwischen Beginn und Schluss. Eine Verbindung zum Inhalt baut sich auf.

Die Infos zum Buch

Autor: Max Bronski
Verlag: Verlagsgruppe Droemer Knaur/Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH
Übersetzung: ./.
Erschienen: Dezember 2017
Umfang: 304 Seiten
Preis: € 14,99 (de)
ISBN: 978-3-426-30610-9

ZIELGRUPPE

Ist das Preisträgerbuch des Friedrich-Glauser-Autorenpreises 2019 gleichzeitig ein kommerzieller Erfolg? Ein Weg, Kriminalromane bekannt zu machen? OSKAR ist eine Odyssee durch München und teils Südtirol. Der Hauptcharakter tritt eine Lawine los, als er sich von seiner misslichen Lage befreit und sich im Durcheinander der Identitäten sucht. Immer wieder und aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Wie auf dem Buchcover. Es findet eine Schnitzeljagd statt zwischen Jenseits und Diesseits, die überrascht, abstößt oder motiviert einfach weiter zu lesen. Denn so wie die Hauptfigur der Frage nachgeht, wer sie eigentlich ist, unermüdlich, insistierend, wiederholend, entdeckt die voreingenommene Leser:in die Lust an den Zweifeln, Krimis doch gern lesen zu wollen, weil sie dieses Buch nicht aus den Händen legen kann. Es ist eine Gratwanderung, die die Spannung ausmacht.

Darüber hinaus lesen historisch Interessierte über die Geschichte Südtirols, die durch eine persönliche Tragödie vermittelt wird.

Kiki’s Rezension: OSKAR

EINLEITUNG

Die Vermittlung eines Zustands zwischen Stagnation und Stillstand widerspricht den aufflackernden Emotionen eines Menschen, der eigentlich gestorben ist. Doch der Schein trügt. Wie in anderen Jahrhunderten der Tod bei noch Lebenden irrtümlich festgestellt wurde, erzählt das Buch die Geschichte eines Scheintoten, der den Weg zurück ins Leben findet, weil er noch Unerledigtes vor sich hat. Er muss seine Identität feststellen, bevor er sich zur letzten Ruhe begeben kann.

Der Tod fährt seit Beginn des Romans in einer Irrfahrt durch Bayerns Hauptstadt und über die Grenze nach Südtirol. Oskar ist der gewählte Name des Menschen, der seinen ursprünglichen Namen sucht, während er sich bei Menschen und in der Natur des Englischen Gartens orientiert.

 

INHALTSANGABE
OSKAR

Oskar wacht in einem Sarg auf, während der Bestattungswagen durch München ins Krematorium fährt. Er schafft sich zu befreien und sieht, dass der Transport mehrere Tote zur letzten Ruhe befördert. Der Mann ohne Namen, der erst viel später sich als Oskar erfindet, weiß nicht, wer er ist, wo er herkommt und wie er in diese missliche Lage gekommen ist. An der nächsten Ampel flieht der Scheintote ohne Identität, nur mit Boxershorts bekleidet mit fremden Ausweispapieren, und findet sich im Englischen Garten wieder. Oskar irrt spärlich angezogen umher, ohne unter den Freizeittreibenden im sommerlichen Englischen Garten aufzufallen.

 

Die zufällige Identität

Sein Ziel ist Überleben und die Entdeckung seiner Identität. Überall trifft er Menschen, von denen nicht alle ihm wohl gesinnt sind. Und Gewalt folgt ihm auf Schritt und Tritt, als würde er sie herausfordern. Der Mann ohne Namen versucht seine eigene Geschichte zusammenzuzimmern. Aber er muss jede Minute verbergen, dass er nicht weiß, wer er ist. Mittlerweilen schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Und sucht nach Zusammenhängen, die ihm seine Null Identität erklären können, sogar bei Schwarzbauten, für die die Stadtverwaltung nie in der Haftung sei. Mit einem falschen Pass geht er den Giesinger Berg hinunter und erzeugt auf seinem Weg Zufälle. Nichtdestotrotz entdeckt er in seinen Wohltäter Gabriel, dessen Kiosk er vertretungsweise betreiben kann, einen Aktivisten, der von München bis in die Allgäuer Alpen gegen Modernisierungspläne vorgeht. Und dabei Oskar oft aus der Patsche hilft und immer wieder in seine Aktivitäten miteinbezieht.

 

INHALTSANALYSE & CHARAKTERISIERUNG

Ein aus der Zeit Gefallener wacht von den Toten auf und will sein Schicksal begründen. Der Tod begegnet ihm in allen Lebenslagen, als würde er ihn herausfordern. Diese Nähe hält ihn nicht davon ab, seine Identität zu suchen. Er bekleidet sich mit den Identitäten anderer, bis er seine persönliche findet. Die Stimmen in seinem Kopf unterhalten sich kontrovers über Leben und Tod. Sie verkörpern Oskar selbst. Es sind seine Alter Egos, die auch schweigen können, bis sie wieder laut werden, je nach Stimmung und Situation. Und plötzlich erwachen sie zum Leben, sie werden Menschen aus Fleisch und Blut aus Oskars eigener Biographie. Oder dieser, der er gerne hinterherträumt. Weil er wissen will, wer er in Wirklichkeit ist. Dabei hat er einen Fehler begangen, bei seinem Befreien aus dem Sarg, in dem er die Ausweispapiere des Toten aus dem Nachbarsarg an sich genommen hat. Die Situation wird immer verworrener, weil Oskar im Umgang mit anderen Menschen in Not gerät und Krisen hervorruft. Ohne nachzudenken verhält er sich so, dass er dauernd mit Menschen aneinander gerät.

 

Nichtwissen

wird im Alltag zu einem Problem und die geliehene Identität zu einer Last, die das Gedächtnis blockiert.

Die Dunkelheit symbolisiert sein Nichtwissen und seine Scham, unbekannte Schuld auf sich geladen zu haben. Seine Bemühungen zielen auf die Herkunft der Schuld, um sie begleichen zu können. Ständig muss er sich konzentrieren, um keine Fehler zu begehen. So wird sein Alltag zu einem riesengroßen Problem.

Überraschungen verträgt er eher schlecht als recht, weil sie den Eindruck der Deplatzierung und den Drang zur Begradigung verstärken. Ganz plötzlich wird ein Detail aus einem Bild herausgerissen, das aus Erinnerungen, Gefühlen und Fragezeichen besteht.

 

Die Bedeutung von Ersatz

ist von Anfang an ein wichtiges Thema. Ersatzhandlungen charakterisieren die Hauptfigur. Er scheint aus solchen gemacht zu sein und er übernimmt vertretungsweise nacheinander Aufgaben. Zum Beispiel, sich eine fremde Identität einverleiben, das Hemd eines anderen anziehen, anstatt des Aushilfskochs in der Küche arbeiten oder einen Imbiss betreiben, weil der Inhaber verhindert ist. Es wird eine lange Kette von Ersatzrollen in einem Verwirrspiel um eine Selbstdefinition und verkrampfte Selbstfindung, die sich durch diese Rollen erschwert.

Sogar die Erinnerungen tauchen wie erfunden auf und Ungewissheit ist die Maxime.

Durch Anschauen und Anfassen bekommt er eine Vorstellung davon, welche Geschichten daraus entstehen können. Wie ein Kind, das nur mit Bildern, aber noch nicht mit Text in einem Buch umgehen kann.

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Erinnerungsbilder in der Vergegenwärtigung wie ein Film ablaufen, eines nach dem anderen in zeitlich genauer Abfolge. Vielmehr dehnt unser Gedächtnis kurze Zeitspannen, rafft Jahre zu einem Augenblick, überspringt ganze Lebensphasen und gruppiert das öde Nacheinander der Ereignisse zu neuen sinnfälligen Reihungen, wenn das Gemeinte dann deutlicher hervortritt.

 

Die eigenen Erinnerungen

Der Mittelpunkt ist die Möglichkeit des eigenen Todes, wie sie einem näher kommt und Gestalt erhält. Dabei rückt das in Lebzeiten Unerledigte in die Ferne, nachdem seine aufgesetzte Wichtigkeit ihren Sinn einbüßt. Jeder Aufschub des Moments, in Details zu finden, betont das heranrückende Ende. Oskar geht stets die ganzen Szenen seiner Erlebnisse schrittweise durch und verändert den Ablauf der Geschichte. Er empfindet seine Befreiung als Wiedergeburt und steht trotzdem hilflos vor Erinnerungen, die den Eindruck machen, seine eigenen zu sein. Währenddessen ersinnt er sich Schlüsselsituationen, wie ein Kind aus einem reißenden Eisbach retten zu können, die ihm Einblicke in sein Leben erlauben. Er baut zu Menschen, die er trifft, in der Vorstellung Beziehungen auf und daraus entsteht der Ansatz von besonderen Verhältnissen, als hätten sie zu ihm und seinem Leben gehören können.

 

OSKAR
FAZIT

„Oskar“ ist ein Kriminalroman, der einen Menschen am Rande des Todes porträtiert und dabei offen lässt, wie er zu Tode gekommen ist. Er kann also Opfer einer Gewalttat sein oder er stellt sich vor, dass er einer Gewalttat zum Opfer gefallen ist. Das Zusammenspiel zwischen Entweder und Oder macht die Stärke dieses Krimis aus. Und die unbeantwortete Frage: wenn der Zeitpunkt gekommen ist, den Kreis der Lebenden zu verlassen, wie wichtig ist es für einen zu wissen, woher er kommt, was er aus sich gemacht hat und ob das Erledigte schwerer wiegt als das Unerledigte. Nicht nur, was er getan hat, sondern auch, was er gewünscht und gehofft hat. Man darf es abrunden und vollenden, weil niemand ohne diesen Trost ins Jenseits gehen muss.

Die Zeit weist Löcher auf, zwischen dem einen Moment, der ist und vergeht, und dem anderen, der kommt. In einem dieser Zwischenräume hing ich fest, vielleicht weil ich mich mit aller Macht gegen das stemmte, was auf mich zukam. Ich vergaß alles, schon während es mir angetan wurde. Seit der Fahrt im Leichenwagen hatte die Zeit stillgestanden. Ich dachte und fühlte immer noch dasselbe. Ich blieb ein Sterbender, der nie wirklich Abschied nehmen konnte. Alles andere waren nur Bilder und Maskenspiel.

Orte der Handlung: München und Südtirol

Schwabinger Bucht

Ein Biergarten unweit der Schwabinger Bucht. Die Stadt München ist Oskar vertraut wie eine freundliche, entfernte Bekannte. Und der Englische Garten entpuppt sich als das Paradies in der Hölle bei der Suche nach seiner Identität.

Isarkanal

Hinter dem Föhringer Stauwehr schmeißen Gabriel, dem der Kiosk gehört, und Oskar den Mann, den Oskar in Notwehr tötete, in den Isarkanal. Die Auffahrt für Radfahrer erleichtert ihnen den Transport, weil es keine Stufen gibt.

Rumfordstraße

Im „Mignon“ beginnt Oskar als Koch zu arbeiten und entwickelt ein erfolgversprechendes Konzept. Kurz darauf bekommt er Besuch aus Italien und meint, diese Sprache besser zu können, als ihm bewusst ist.

Bozen/Italien, Meran/Italien, Wörgl/Österreich, Schlans/Schweiz

Die kleinen Orte abseits von Bozen, Meran und Wörgl sind erfunden und entsprechen keinem wirklichen. Der Konflikt um Südtirol in den fünfziger und sechziger Jahren sowie die Aktivitäten des Befreiungsausschusses Südtirol sind allerdings Themen, für die der Autor aufwendig recherchiert hat.

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