Schwarzer Oktober | Robert Brack

BUCHCOVER Schwarzer Oktober Wie in Tinte getaucht. Aus einem umgekippten Tintenfass. Eine Demonstration im Oktober.

Frauen mit Schildern waren unterwegs.

„Gegen den Hunger!“

„Preiskontrolle!“

„Nieder mit dem Wucher!“

Zuschauer schweigen. Meistens ablehnend. Denn kaum einer unterstützt den Aufstand. Frauen an der Front. Schatten und Flaggenhissen. Der Geist der Vergangenheit weht durch die Reihen. Demonstrantinnen und ihr Publikum. Festgefroren auf einem Bild aus anderen Zeiten. Die Gesichter schwimmen unkenntlich. Bis auf die Schrift, die auf dem Buchcover wie in dem Buch von der Macht der Worte erzählt. Und Erinnerung im Mantel der Fiktion, die nicht vergisst der historischen Wirklichkeit zu folgen, bewahrt.

Und die Fahne der Demonstration hisst mal rot, mal schwarz und gelegentlich in anderen Schattierungen.

Die Infos zum Buch

Autor: Robert Brack
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Übersetzung: ./.
Erschienen: September 2023
Umfang: 160 Seiten
Preis: €16,00 (de)
ISBN: 978-3-96054-326-8

ZIELGRUPPE

Vor dem Hintergrund des Aufstands in Barmbek im Oktober 1923 erzählt diese Kriminalfiktion von der Suche einer jungen Frau nach einem Mörder und nach dem Sinn in politischen Ideologien und Symbolen, während sie privat eine stürmische Liebesbeziehung eingeht.

Der Barmbeker Aufstand von 1923 war eine von Teilen der KPD in Hamburg am 23. Oktober 1923 begonnene Revolte. Ziel war der bewaffnete Umsturz in Deutschland nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution 1917. Hintergrund des Aufstands war die Krise der Weimarer Republik. Die wirtschaftliche Lage hatte sich verschlechtert und es gab Hyperinflation.

Kiki’s Rezension: Schwarzer Oktober

EINLEITUNG

Im Krisenjahr 1923 wird die Ruhrbesetzung beendet, es gibt Umsturzversuche der extremen Rechten und Linken und die deutsche Währung wird stabilisiert.

Im Buch beteiligt sich Klara Schindler, Mitglied der KPD, am Barmbeker Aufstand.

Die Kälte, die uns arm macht, die uns hungern lässt.

(S. 15)

Einzig in Barmbek erhielten die Aufständischen Unterstützung aus der Bevölkerung, die sich am Barrikadenbau beteiligte und die Demonstrant:innen mit Lebensmitteln versorgte. Durch diesen Umstand ist der Hamburger Aufstand wegen seiner lokalen Begrenztheit auch als Barmbeker Aufstand bekannt, obwohl Altona und Stormarn auch Schauplatz des Umsturzversuches waren.

 

 

INHALTSANGABE
Schwarzer Oktober

Die junge Klara Schindler, Mitglied der KPD, hält sich mit wechselnden Beschäftigungen mehr schlecht als recht über Wasser. Meistens wird sie entlassen, wenn ihre Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei bekannt wird. In ihrem Kellerloch von einer Wohnung, das im Inflationsjahr 1923 eine Wuchermiete kostet, schreibt sie von Juni bis Oktober Tagebücher. Inmitten des Barmbeker Aufstands sucht sie den geheimnisvollen Messerstecher, der ihre Freunde auf dem Gewissen hat. Während sie einer Hungersnot knapp entgeht und die Prostitution als Nothilfe ablehnt, sterben ihre Freunde Jakob und Selma durch Messerstiche tödlich getroffen vor ihren Augen. Zwischen Not und Träume versprechender Ideologie wird Klaras Suche nach dem Täter von Ablenkungen begleitet, die ihr die Sicht trüben. Und den Mörder, der sich unter Noskiden, unter Kommunisten oder mitten in der Bevölkerung verstecken könnte, nicht aufhalten mag, denn er kann einer von ihnen sein.

Der Erlass des SPD-Politikers und Reichswehrministers Gustav Noske verfügte einerseits die Überführung, andererseits die Abrüstung militärischer Verbände. In Anlehnung an diesem Erlass wurden Noskiden republikfeindliche Freikorps genannt, die für die blutige Niederschlagung kommunistischer Aufstände verantwortlich waren. Die nicht in die Reichswehrbrigaden übernommenen Verbände bildeten meist sogenannte Wehrverbände oder fanden ein Unterkommen bei paramilitärischen Verbänden, die bis zum Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts unabhängig von nationaler Herkunft waren.

 

 

INHALTSANALYSE & CHARAKTERISIERUNG

Ein Leben in Ausgelassenheit. Obwohl das Geld kaum reicht. Zwischen Mädchen, die ihre Reize für Geld verkaufen, insbesondere die begehrten Dollar, ohne eine von ihnen zu sein einerseits. Und im Schoss der kommunistischen Partei, zu der sie sich mit ihrer Mitgliedschaft bekennt, andererseits. Inmitten von Männern ist Klara eindeutig den Frauen zugewandt und zugetan. Sie erlebt intensive Stunden mit Selma zwischen Begehren und Verzweiflung und ihre Feder bekommt nicht nur bei kommunistischen Funktionären Zuspruch.

 

 

Freiheitsträume

Die Liebenden sind befangen und gefangen zwischen politischen Idealen und Träumen von Freiheit. Das Gespür für Konflikte begleitet ihren Alltag. Stärke und Widerstand auf dem Weg zum Aufstand. Unerschrocken und unerbittlich sich selbst behaupten. Selbstbewusstsein ohne Gruppenzwang. Unbequem und stolz am Rande des Existenzminimums. Harte Arbeit in der Fabrik für wenig Lohn. Viel Wut trotz Müdigkeit.

Ich war wütend, weil ich zwei Tage lang von einer Adresse zur nächsten gepilgert war mit dem Wisch vom Arbeitsamt und keiner wollte mich haben. Nicht in der Konservenfabrik, nicht in der Wäscherei, nicht in der Ichthyolfabrik, auch nicht in der Fischräucherei, schon gar nicht in der Metallwarenfabrik, weil ich keine Ahnung hatte, was Emaillieren bedeutet und sie sowieso zehn Bewerberinnen auf eine Stelle hatten und auf Se-ri-o-si-tät erpicht waren.

(S.28)

 

 

Ideale treffen Feindbilder

Klara hinterfragt sogar Stars ihrer Partei wie die historische Figur der Ketty Guttmann, die die Fiktion in den Plot einbaut, aber vor allem zweifelt sie an sich selbst auf ihrem Weg in die eigene Emanzipation. In einer Grauzone, wo Schützlinge auf Feindbilder treffen könnten, verfolgt von dem Gespenst eines fremden Feindbildes, der die Grenzen von Wirklichkeit und Traum leichtfüßig überschreitet, steht sie zu ihren Neigungen wie auch zu der Partei. Erstere sind kristallklar. Letztere suchen im Aufstand eine Identität. Zum Greifen nah der Täter, der seine in Schutzmechanismen verkleidete Hassliebe auf das weibliche Geschlecht und die gleichgeschlechtliche Liebe zu stillen versucht.

 

 

Weitere angesprochene Themen

Generalstreik

Revolution und Disziplin

Betriebsrat

Rechte und Pflichten des Betriebsrats als betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer:innen wurden erstmals in der Weimarer Republik im Betriebsrätegesetz von 1920 kodifiziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg in dem 1952 erlassenen Betriebsverfassungsgesetz geregelt. 1972 wurde es umfänglich und danach noch mehrfach in kleineren Teilen nivelliert.

Pressefreiheit und Zensur

Ketty Guttmann; politische Idole; Personenkult; Kritik aus den eigenen Reihen

Rhetorik und Wirkung

Parteimitgliedschaft ohne Beitrag zu zahlen

Patriarchalische Strukturen

Tschakos; Ordnungshüter

Kriegsveteranen (Erster Weltkrieg)

Obdachlosigkeit

Prostitution; Zeitung „Der Pranger“

Arbeitssuche

Fabrikarbeit

Stempelgeld

Pfandhaus

Schwarzfahren

Diebstahl

Mietpreise; Inflation 1923

Ein Liter Milch kostet zehn Millionen Reichsmark. Mit einem Dollar könnte man zehn Liter kaufen.

(S. 52)

Romantik und Trostlosigkeit; Melancholie und Rekonstruktion

 

Schwarzer Oktober
FAZIT

Von Kopf bis Fuß auf Aufruhr eingestellt.

Jakob trifft Klara und Selma und alle sind betrunken. Jakob will den jungen Frauen erklären, dass sie Männer werden müssen, damit sie die Frauen bleiben können, die sie sein wollen. Dann bemerkte er einen Mann mit Hombug und floh, weil er glaubte, es handelte sich um einen Polizeispitzel. Falls dem so war, spielte der Herr seine Rolle als Professor Unrat bravourös. Selma und Klara lachten sich darüber kaputt.

Die Protagonistin ist auf der Suche: nach Essbarem, nach Arbeit, nach einem Mörder. Ihre Suche gleicht einer Flucht. Eine Kämpferin für eine gleichere Welt, die kaum aufzuhalten ist, stellt sich hier vor. An Rückschläge gewohnt und von Siegen geträumt.

Ein Kaleidoskop aufständischer Frauen, die zwischen Parteigehorsam und Freiheitsliebe den Weg aus dem Chaos suchen. Führungslose Hoffnungen versanden, denn von den Anführer:innen dieses Aufstands fehlt am Ende jede Spur.

Der Realitätsbezug zum unruhigen Jahr 1923, der dem Kriminalroman zugrunde liegt, hat einen besonderen Effekt. Die im Text gekonnt gestreute Fiktion wirkt glaubwürdig.

Ernüchterung und Schmerz besiegen die Verheißungen des Realitätsverlusts und der Moral vor der Fassade. Die Liebe schlägt der Parteitreue ein Schnäppchen, sogar im Tod.

Wiedersehen mit Klara Schindler. Historisch angelegter Kriminalroman aus dem Hamburg zwischen den zwei Weltkriegen.

Ort der Handlung: Barmbek, Hamburg 1923

Hamburger Str.

Klara arbeitet als Tellerwäscherin, bis sie wegen Ungehorsam entlassen wird.

 

Roter Platz

Parteibüro der kommunistischen Partei und Polizeifokus.

Neuer Steinweg

Klara sucht Arbeit bei der Zeitung „Der Pranger“, Organ der Hamburger Altonaer Kontrollmädchen.

Spielbudenplatz

Anschlag auf Klaras Freund Jakob mitten im Gedränge.

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